15.
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Kommunikationstalent
… spontan, subjektiv, ehrlich … sein Ohr auf ihrem Bauch …
noch keine Flitterwochen gehabt …
Am folgenden Tag musste Hirschberg zu einem Kunden fahren. Er frühstückte noch mit Katha wie gewohnt, dann fuhr er los. Sie hatte nur ihren Morgenmantel übergezogen. Nachdem sie den Frühstückstisch abgeräumt hatte, ging sie wieder nach oben zurück ins Schlafzimmer und legte sich aufs Bett. Sonnenstrahlen erhellten das Zimmer. Sie schloss die Augen, fühlte in sich hinein. Da war es wieder: dieses sich regende Leben in ihrem Unterleib.
Nachdem es wieder ganz ruhig in ihr geworden war, stand sie vorsichtig auf, ließ den Morgenmantel fallen und streifte den Schlafanzug ab. Sie stellte sich auf die Waage, dann seitwärts vor den großen Spiegel. Sie hatte ein wenig zugenommen. Von einem Schwangerschaftsbauch konnte indes noch keine Rede sein, eine leichte Wölbung war zu sehen.
Sie streichelte ihren Bauch, auch ihre Hüften, ihre Brüste – sie gefiel sich. Beschwingt machte sie einige Tanzschritte. Sie ging hinunter in die Küche zum Kühlschrank. Einen Piccolo nahm sie heraus und stieg damit wieder nach oben. Sie öffnete die Flasche, schwang sie durch die Luft, begann erneut zu tanzen und trank dabei. „Ich trinke auf dich, mein Kleiner!“, rief sie aus. Sie wirbelte ausgelassen durch den Raum, sang dabei. Die Flasche trank sie nicht aus, sondern schüttete den Rest über ihren Leib. Schließlich ging sie ins Bad und duschte voller Lust.
Es war schon später Vormittag, als Katha ins Büro ging. Aus dem Briefkasten hatte sie die Post geholt, die sie jetzt an ihrem Arbeitsplatz öffnete und sortierte. Den Anrufbeantworter schaltete sie nicht aus. Ihr war nicht danach, Anrufe in Empfang zu nehmen. Ruhe wollte sie haben, sich ihrer Wonne hingeben. Schon auf dem Bad hatte sie ihr Hochgefühl ausgelebt, sich sorgfältig mit allerlei Wohlriechendem betupft und benetzt, sich geschminkt, als gehe sie gleich auf den Laufsteg. Angezogen hatte sie ein farbenfrohes Kleid wie zu einer Sommerparty.
Sie setzte sich in Hirschbergs Lesesessel. Ihren Gedanken ließ sie freien Lauf. In ihr bahnte sich neues menschliches Leben seinen Weg hinaus in die Welt. Ihr war dieses Leben anvertraut. Sie war das Gefäß, der Humus, die Gebärende – die Mutter. Ihr Leib fand darin seine Erfüllung. Sie, Katha Hirschberg, bekam ihre Lebensaufgabe. Für dieses neue menschliche Leben hatte sie die Verantwortung. Was da heranwuchs, war ausgestattet mit dem Potential, das sie und Johannes als Teile der Geschlechterkette hineingelegt hatten. Was für ein Mensch sich daraus entwickle, mit welchen Eigenschaften und Fähigkeiten, was für ein Charakter sich bilde, daran würden sie, die Mutter, und er, der Vater, maßgeblichen Anteil haben.
Dankbarkeit und Freude stiegen in ihr auf bei dem Gedanken, dass Hirschberg der Vater war. Er war so stark und erfahren, so klug und einfühlsam. Ihr und dem Kind gab er eine Atmosphäre der Sicherheit und des Geborgenseins. Nein, sie war nicht die Superfrau, die Beruf, Haushalt und Kind hätte bewältigen können. Mochten andere Frauen ihr in ihrer totalen Selbständigkeit überlegen sein – ihr war es so lieber. Dieser Winzling in ihr, der sich nun bemerkbar machte, der zunehmend menschliche Gestalt annahm, den sie in wenigen Monaten als schreiendes und hungriges Wesen herausdrücken würde, der hörte bestimmt schon jetzt die ruhige Stimme seines Vaters.
Jos umsichtige Fürsorge, seine unauffällige Nachsichtigkeit und seine erprobte Standfestigkeit gaben ihr den Halt, sich ganz und gar auf das Abenteuer, Mutter zu werden, furchtlos einlassen zu können. So war auch sie selbstsicher und stark.
Sie stand auf und setzte sich an den Computer, klickte sich ins Internet und gab das Suchwort „Mutterschaft“ ein. Als sie die Fülle der Webadressen sah, verlor sie die Lust, all dem nachzugehen. Zu einem anderen Zeitpunkt würde sie die Informationsangebote durchsehen, die von Interesse sein könnten. Ausfindig machen wollte sie Beratungsmöglichkeiten und Vorbereitungskurse für sich, und wenn Jo mitwollte, auch für Paare. Aber das musste ja nicht heute sein. Gebären war ein natürlicher Vorgang. Warum eigentlich kamen die meisten Babys im Krankenhaus zur Welt? Eine Hausgeburt! Warum nicht?
Die Versöhnung mit ihrer Mutter kam ihr in den Sinn. Eine stille Belastung war aufgelöst worden. Auf eine neue Schiene war gekommen, was aus den Gleisen gesprungen war. Ihrer Mutter, der sie nichts verraten hatte, würde sie ein Loch in den Bauch fragen: Wie das denn bei ihren Schwangerschaften war, ob es Komplikationen gab, wie ihr Mann daran Anteil genommen habe. Zwar war heute sicherlich einiges anders als vor 25 Jahren, aber für sie war ja auch interessant, zu erfahren, wie die Mutter die ersten neun Monate ihrer Tochter wahrgenommen hatte.
Sie wollte etwas über ihre allerersten Anfänge erfahren. Wo wohnten sie? Wie war zu dieser Zeit das Verhältnis der Eltern zueinander? Welchen Anteil nahm der Vater, als die Mutter mit ihr schwanger war? Hatte ihre Mutter auch Tage solcher Hochgefühle, wie sie heute einen hatte? Gab es Freundinnen, mit denen sie sich über ihre Schwangerschaft austauschte? Welchen Beistand hatte sie seitens ihrer Mutter? Sie wollte alles wissen!
Heute Abend würde sie ihre Mutter anrufen, ihr sagen, sie habe ihr etwas verschwiegen und erste Fragen stellen. Jo könnte am Ende des Gesprächs den Hörer übernehmen und sie zu einem Besuch einladen. Dann gäbe es viel Zeit, um ausführlich miteinander zu reden. War das aufregend! Warum nur lehnten heute so viele Frauen eine Schwangerschaft ab? War es denn nicht die schönste und höchste Form der Selbstverwirklichung, sich zum kreativen Teil des Menschengeschlechts zu machen! Sich mit Gebären, Nähren, Erziehen und Begleiten der nächsten Generation zu widmen!
Vom Ende des Lebens betrachtet: Was würde eine Frau eher mit Stolz erfüllen, beruflich erfolgreich gewesen zu sein oder Kinder erzogen zu haben? Für sie galt Letzteres. Sie wollte für Jo die beste aller Frauen sein und für ihre Kinder – das war ja gerade mal das erste! – die beste aller Mütter. So gesehen, wollte sie durchaus eine Karrierefrau sein.
Es war Mittagszeit. „Wir gehen jetzt etwas Gesundes essen“, sagte sie und ging hinunter in die Küche. Sie dünstete Gemüse, Kartoffeln und machte sich als Würze dazu aus Kräuterkäse eine Sauce. Als Getränk ein Bier. Während sie am Küchentisch aß, dachte sie wieder an ihre Mutter. Mit ihr würde sie gerne in den nächsten Wochen Umstandskleider kaufen. Sie erinnerte sich an ihr Bild am Morgen im Spiegel. Was würde ihr stehen? Zweckmäßig wäre etwas Legeres. Da die letzten Schwangerschaftsmonate in den Winter fielen, brauche sie warme Sachen.
Gegen Abend kam Hirschberg zurück. Er war abgespannt. Sie versuchte, sich zurückzuhalten, um ihn nicht mit ihrer Gefühlsseligkeit zu überschütten. Er spürte jedoch, wie freudig erregt sie war, sie strahlte es aus. Während sie das Abendessen zubereitete und auftischte, ruhte er sich auf der Wohnzimmercouch aus. Als der Tisch gedeckt war, zündete sie noch zwei Kerzen an und setzte sich dann zu ihm auf die Kante der Couch. Er nahm ihre Hand und drückte sie.
Die beiden saßen schon eine Weile beim Abendbrot, als sie schließlich fragte, wie der Tag denn gelaufen sei. Es sei nicht schlecht gewesen, aber es hätte besser sein müssen. Doch es gäbe ja immer und überall ein paar Quertreiber. Mehr sagte er nicht. Sie merkte, er wollte den Tag abhaken. Daher begann sie von ihrem Tag zu erzählen. Es sei ein wundervoller Tag gewesen. Der Spross bewege sich jetzt immer öfter. Auch habe sie überlegt, was sie nun alles zu regeln habe.
Er fragte: „Hast du dir auch schon einen Namen für den Jüngling überlegt?“
„Das machen wir gemeinsam.“
„Aber zunächst jeder für sich. Sobald jeder fünf beisammen hat, die infrage kommen, sagen wir sie uns. Ist einer oder sind mehrere dabei, die wir uns beide vorstellen können, kommen sie auf die Entscheidungsliste. Haben wir zehn mögliche Namen auf der Liste, erstellen wir eine Rangfolge, die in den beiden folgenden Wochen von uns immer wieder überprüft wird. Am Ende der zwei Wochen werden die Namen auf den Positionen sechs bis zehn gestrichen. Die Vorschlagsliste wird fortgeschrieben. Stehen erneut zehn Namen in Reihenfolge zur Wahl, beginnen die nächsten zwei Wochen, und so weiter bis sich eine Nummer 1 herausstellt, die über mehrere Perioden die Nummer 1 bleibt.“
„Das ist ja fast schon eine Seminaraufgabe.“ „Wir sollten uns da schon Mühe geben. Schließlich muss das Kind sein Leben lang diesen Namen tragen. Ich finde es schlimm, wenn Eltern ihren Kindern Namen verpassen, die einer Laune oder dem Zeitgeist oder einem Fanclub entspringen. Manchmal ist es auch nur ein Name aus Verlegenheit. Montag zum Beispiel.“ „Ich frage meine Mutter, warum sie mir den Namen Katharina gegeben haben.“
„Mich wundert, dass es noch keine Organisation gibt, die aus Gründen der Selbstbestimmung fordert, Kinder sollten bei Erreichen der Volljährigkeit darüber entscheiden können, ob sie für sich einen neuen Namen wählen oder den von den Eltern bestimmten Namen behalten wollen.“
„Das würde aber zu einiger Verwirrung führen. Bei einem neuen Namen würde jeder fragen: Ist das der, der gestern noch Josef oder Lutz oder Benjamin gerufen wurde. Und alle Urkunden müssten neu erstellt werden.“
„Selbstbestimmung und Emanzipation haben eben ihren Preis. Aber ich glaube, die meisten Volljährigen würden bei dem Namen bleiben, den die Eltern ihnen gegeben haben. Denn an den hat man sich gewöhnt. Als Kind und Jugendlicher hat man seine Identität daran festgemacht. Ich jedenfalls würde bei Johannes bleiben.“„Meine Mutter hat eine ganze Zeit lang nicht Katha, sondern Katharina zu mir gesagt. Das hat mir gefallen.“
„Auch mir hat die Langfassung meines Namens, Johannes, gut gefallen. Doch meinen Schulkameraden war das zu lang. Die haben einfach Jo gesagt. Man ist gar nicht Herr seines Namens. Selbst wenn man ihn sich selbst geben würde.“ „Meinem Vater war Katharina auch zu lang. Er hat daraus Cat, Katze, gemacht. Manchmal rief er mich: Kiss me Cat! Ein Onkel von mir sagte Käthe, das gefiel mir überhaupt nicht.“
„Gab es einen anderen Namen, den du lieber als Katharina gehabt hättest?“
„Ich hatte eine Lehrerin, die ich über alles mochte. Die hieß Elisabet. Da wollte ich lange Zeit auch Elisabet heißen.“
„Zuhause hat man wahrscheinlich nur Lisa zu ihr gesagt.“
„Eine Kollegin von ihr, mit der sie sich duzte, sagte Lisa zu ihr.“
„Meine Mutter hatte eine Schwester, die Elisabet hieß. Die wurde nur Li genannt. War eine prima Tante, immer guter Laune.“
„Li für Elisabet? Ein bisschen sehr kurz.“
„Genau so kurz wie Jo.“
„Li und Jo Hirschberg.“
„Wer dich nicht kennt, könnte auf die Idee kommen, du wärest aus Vietnam oder so.“
„Jetzt komm du nur nicht auf die Idee, unserem Sohn den Namen Ho geben zu wollen.“
„Vielleicht Kai?“
„Setz ihn auf deine Vorschlagsliste.“
Gemeinsam räumten sie den Tisch ab. Sie brachte die Küche in Ordnung, während er noch ins Büro ging, um die Post durchzusehen und den morgigen Tag vorzubereiten. Als er danach die Treppe runterging, kam ihm Katha von unten entgegen. Er würde gerne noch einen Spaziergang machen, das hätte sie auch gerade vorschlagen wollen. „Aber vorher noch mit meiner Mutter telefonieren!“
Heirat in der Kirche?
… katholisch getaufte Christen … aus Überzeugung oder gar nicht … das Buch
rutschte ihm aus der Hand … Einladung nach Berlin …
Stumm und sich bei den Händen haltend gingen sie am Rhein entlang. Hirschberg geriet mehr und mehr in eine Stimmung, als bewege er sich in einem Traum. Er fasste Kathas Hand fester, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. Da ging er wie ein Jüngling Hand in Hand an einem warmen Spätsommerabend mit einer wunderbaren Frau den Rhein entlang; er, der seine Familienphase doch eigentlich schon hinter sich hatte. Und diese junge Frau trug ein Kind in sich, das ihn erneut zum Vater machte. Ein Wunder der Schöpfung, an dem er teilhaben durfte!
Nach einiger Zeit fragte sie: „Machen wir am Sonntag wieder einen Gottesdienstversuch?“
Er äußerte Skepsis, endlich einen Gottesdienst zu finden, der sie ansprechen würde. Dann kamen ihm jedoch selbstkritische Gedanken. „Vielleicht haben wir falsche Vorstellungen. Die Predigt ist nicht das Wichtigste an einer Messe. Gottesdienst ist keine Veranstaltung, die man sich nach Konsumentenart aussucht, weil einem bestimmte Predigten besser gefallen als andere.“
Katha insistierte: „Aber es könnte doch Predigten geben, die einen eher zum Glauben führen als andere.“ „Du hast recht. Die Verkündigung liegt im Argen. Aber die Hauptsache eines Gottesdienstes ist nicht die Verkündigung.“
„Was ist dann die Hauptsache?“
„Die Feier des Abendmahls, der Kommunion.“
„Aber es findet kein Mahl statt.“
„Wie willst du in einer Kirche ein Mahl feiern? Das wird immer eine Art von Speisung.“
Katha wurde konkret: „Lassen wir unseren Sohn taufen?“ „Ich würde das wollen.“ „Und wie soll das ablaufen?“ „Ich, beziehungsweise wir gehen zum Pfarramt und erklären, wir seien katholisch getaufte Christen, wohnten im Pfarrbezirk und würden unseren Sprössling gerne taufen lassen.“
Sie äußerte Unbehagen: „Das kommt mir so vor, als gingen wir zu einem Veranstalter von Zeremonien. Außerdem: Werden die auf dem Pfarramt uns nicht nach unserer kirchlichen Heirat fragen?“ Er nahm ihren Gedanken auf, drehte ihn indes ins Ironische: „Das ist die Idee: Bei der Gelegenheit lassen wir uns auch gleich trauen. Ich im Frack, du im blütenweißen Kleid mit Söhnchen auf dem Arm zu Hochzeit und Taufe.“
„Meinst du das ernst? Oder machst du Scherze?“
„Ich stelle mir das witzig vor.“
„Also dann bin ich dafür, dass wir beides sein lassen. Entweder aus Überzeugung oder gar nicht. Jedenfalls nicht als Farce.“
„Du hast recht Elisabet. Für Sonntag schlage ich vor: Wir fahren nach Maria Laach zur Messe. In Klöstern gibt es noch Gemeinschaften, religiöse Gemeinschaften. Mein Religionslehrer hat sogar einmal gemeint, ich in meiner ruhigen und bedächtigen Art könnte ein guter Benediktiner werden. Mit der Armut hätte ich wohl kaum Probleme gehabt. Aber mit dem Gehorsam und der Keuschheit – ich fürchte, das wäre schief gegangen.“
„Fahren wir nach Maria Laach!“
Wieder zurück im Haus gingen sie gleich zu Bett. Sie fragte, ob er ihr denn noch aus der Bibel vorlese oder ob er zu müde sei. Nein, das Lesen sollte nicht ausfallen. Ihm fiel aufgrund ihres Gesprächs über Namen das Lukas-Evangelium ein, wo von dem Priester Zacharias und seiner Frau Elisabet berichtet wurde. Das Paar war schon betagt und dennoch bekamen sie einen Sohn, der als Johannes der Täufer Hirschbergs Namenspatron war. Hirschberg las die anrührende Geschichte von der Verheißung der Geburt des Täufers vor. Katha erinnerte sich, einmal gehört zu haben, wie ein Engel Maria die Botschaft überbracht habe, sie werde einen Sohn bekommen, obwohl sie mit keinem Mann geschlafen habe. Hirschberg las ihr den genauen Text vor, wie der Engel Gabriel in Nazareth der Jungfrau Maria ihre Schwangerschaft verkündete. Er las ihr auch noch die nächste Überschrift ‚Der Besuch Marias bei Elisabet’ vor und fragte: „Weiterlesen?“ „Ja, bitte!“
Und er las: „Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ. Da sagte Maria:
Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig. Und Maria blieb etwa drei Monate bei ihr; dann kehrte sie nach Hause zurück.“
Hirschberg fielen die Augen zu und das Buch rutschte ihm aus der Hand. Er war eingeschlafen. Katha küsste ihn zärtlich auf die Stirn. Dann legte sie das Buch zur Seite und zog sich in ihr Bett zurück, voller seliger Gedanken.
Hirschberg und Lisa, wie er Katha jetzt öfter nannte, sowie Tochter Hannelore und Bob, die seit einigen Wochen bei ihnen Quartier bezogen hatten, saßen beim Frühstück. Hannelore: „Könnt ihr euch das denn überhaupt leisten? Zwei Wochen Mallorca! Einfach so, mal zwischendurch.“ Hirschberg: „Das ist heute sozialer Standard in Deutschland. Zumindest für Rentner. Aber du hast recht. Eigentlich dürfte ich nicht weg. Ein paar Akten werde ich mitnehmen müssen. Doch hin und wieder brauche ich so einen Wechsel. Sonst wäre ich nur noch ein Arbeitstier.“
Katha: „Außerdem haben wir noch keine Hochzeitsreise gemacht.“
Bob: „Dann fliegt doch nach Hawaii. Das ist ein Paradies für Hochzeitspaare.“
Hirschberg: „Uns genügt Mallorca.“
Hannelore: „Am liebsten käme ich mit. Bevor in Frankfurt alles losgeht, könnte ich ein paar Tage Urlaub mit meinem Vater und meiner Stiefmutter gebrauchen.“
Katha: „Dann tu das doch!“ Zu Hirschberg: „Hat die Wohnung Platz für vier?“
Hirschberg: „Zur Not ja. Einer müsste allerdings in der sala d’ estar auf dem Sofa schlafen. Na Bob, ist das keine Idee?“
Bob: „Die Idee ist gut. Aber wir haben noch so viel zu erledigen, bevor ich meinen Job anfange.“
Hannelore: „Das meiste haben wir schon geschafft.“
Katha: „Wenigstens eine Woche, wäre das nichts?“
Hirschberg: „Das fände ich gut. Ihr seid jetzt schon eine ganze Weile hier. Aber wir haben noch keine Zeit gehabt, um einmal ausgiebig miteinander zu reden.“
Katha: „Das Meer wird noch warm genug zum Baden sein. An kühleren Tagen könnten wir auch gemeinsame Wanderungen unternehmen.“
Hirschberg: „Ich wüsste schon ein paar schöne Wege. Und Katha kennt die schönsten Buchten.“
Hannelore: „Ihr könnt einem das richtig schmackhaft machen.“
Hirschberg: „Ernsthaft: Eine Woche ist nicht drin? Bob, was meinst du?“
Bob: „Die Versuchung ist groß.“ Zu Hannelore: „Sollen wir es einfach tun?“
Hannelore: „Was meine Termine angeht, wäre es möglich.“
Bob: „Wir prüfen das. Wenn es irgendwie geht, kommen wir für ein paar Tage dazu. Denn ihr habt ja recht: Wir sollten etwas mehr Zeit füreinander haben.“
Allgemeine Zustimmung. Am Nachmittag schon des folgenden Tages rief Hannelore an und teilte Katha mit: „Ja, es geht. Wir kommen vier oder fünf Tage dazu. Gerade haben wir noch einen Termin gecancelt. Ich freue mich. Das ist genau das Richtige, um noch mal Luft zu holen. Und schließlich möchte ich meine Stiefmutter etwas näher kennenlernen.“
Katha: „Wenn du noch einmal Stiefmutter zu mir sagst, bin ich dir ernsthaft böse. Ich heiße Katha.“
„Versprochen.“ Katha bot an, die Tickets zu besorgen, und sagte, sie freue sich riesig.
In den nächsten Tagen rief Katha ihren Bruder an und sagte ihm, der Besuch bei ihm würde sich verschieben, da sie vor der Mallorca-Reise nicht mehr dazu kämen. Ähnlich vertröstete sie auch ihre Mutter mit der Einladung nach Mehlem. Hirschberg rief seine Schwester an, die von Hannelore schon die Neuigkeiten der Familie erfahren hatte. Mit Bob hatte sie ihre Tante von Frankfurt aus besucht. Für die Zeit nach Mallorca stellte Hirschberg seiner Schwester einen Besuch mit Katha in Aussicht, wenn sie denn ihre neue Schwägerin kennenlernen wolle. Klar wolle sie, Hannelore habe nur Gutes über sie erzählt. Na dann! dachte Hirschberg.
Freund Werner beziehungsweise sein Büro meldete sich. Im November gäbe es ein Symposion zum Thema „Ehe und Familie in der postindustriellen Gesellschaft“. Hirschberg und seine Frau seien dazu herzlich nach Berlin eingeladen. Wenn Hirschberg eines der Impulsreferate, die für die Arbeitskreise vorgesehen seien, übernehmen wolle, könnten für ihn die Kosten übernommen werden. Wenn Interesse bestehe, würden die Unterlagen zugeschickt. Katha, die den Anruf angenommen hatte, berichtete Hirschberg. Sie entschieden sich für die Teilnahme. Katha meldete nach Berlin, dass ihr Mann das Referat übernehme und sie mitkomme.
Zug um Zug arbeitete Katha ihre to do-Liste ab. Da stand auch, Frau Schneider anrufen, ob sie zur selben Zeit auf der Insel sei. Sie sei schon seit ein paar Wochen da und werde auch noch ein paar Wochen bleiben. Das sei eine großartige Idee, nach Mallorca zu kommen, und sie sollten nicht erst am letzten Tag sie besuchen. Es gäbe Interessantes zu erzählen. Wie es ihr denn ginge, was sie mache? Katha verriet, sie sei in Umständen und manage in ihrem Tenniszentrum Veranstaltungen. Darüber wollte die Schneider Genaueres erfahren. Zum Schluss: Also gleich in den ersten Tagen melden!
Hirschberg nahm mit großer Zufriedenheit wahr, wie Katha mehr und mehr die tausend Kleinigkeiten in den Griff bekam. Sie fädelte ein, brachte Aktivitäten in die notwendige Reihenfolge. Sie achtete auf die Zusammenhänge und koordinierte, sie konnte ihre Zeit einteilen und traf beim Telefonieren meistens den richtigen Ton. Sie wurde immer selbstbewusster. An ihrem Briefstil ließe sich noch einiges verbessern.
Die letzten Tage vor dem Abflug wurden mit 12 und 14 Stunden Tagespensum für Hirschberg anstrengend. Katha machte die damit verbundene Hektik nichts aus. Bei ihr zeigten sich Fähigkeiten, die sie selbst jetzt erst entdeckte und sie anspornten.
Fluch der Schönheit
… kroch zu ihm unter die Decke … Ausflug nach Sant Elm …
ein aufdringlicher, widerlicher Kerl …
Hannelore fuhr die beiden zum Flughafen. Der Flug verspätete sich. Wie immer tat sich Hirschberg mit der Wartesituation schwer. Den ganzen Vormittag noch Stress, jetzt zur Untätigkeit verdammt. Wie Katha ein Buch lesen oder Illustrierte durchblättern, konnte er nicht. Er tat, was er immer in solchen Situationen tat, er beobachtete die Leute. Doch er wurde müde. Der Kopf fiel ihm auf die Brust und die Augen fielen ihm zu. Er begann, vor sich hin zu dösen. Als es endlich losging, musste ihn Katha wecken. Der Flug in die Nacht hinein verlief ruhig. Am Gepäckband in Palma mussten sie schon wieder über Gebühr warten. Ehe sie den vorbestellten Mietwagen hatten, verging noch zusätzliche Zeit. Gegen Mitternacht kamen sie endlich in Santa Ponça an.
Am nächsten Tag schliefen sie sich erst einmal aus. Hirschberg wurde zwar immer wieder wach, schlief dann aber erneut ein. Katha schlief durch. Als sie am späten Vormittag wach wurde, schlief er. Leise stand sie auf, öffnete das Fenster, um die Persianas zurückzuklappen. Doch der Wind riss ihr die eine Hälfte aus der Hand, so dass diese krachend gegen die Hauswand schlug. Hirschberg fuhr hoch. Sie entschuldigte sich und kroch zu ihm unter die Decke.
Nach dem Aufstehen fuhren sie nach Porto Pi, um dort zu frühstücken und für die nächsten Tage einzukaufen. Am Nachmittag gingen sie zum Baden in die kleine Bucht nicht weit vom Hafen. Das Wasser war noch angenehm warm. Frau Schneider hatten sie, wie versprochen, schon angerufen. Sie verabredeten sich für den nächsten Abend bei ihr in Puerto Andratx. Sie überlegten: Sollten sie am nächsten Tag nach Palma fahren oder eine erste Wanderung machen? Katha schlug vor, eine erste kleine Wanderung zu machen und anschließend an irgendeinen schönen Strand zu fahren. Sie entschieden sich für einen Ausflug nach Sant Elm.
Am nächsten Morgen war das Wetter so traumhaft, wie man es sich an trüben Tagen in Deutschland auf Mallorca vorstellt. Ohne Eile standen sie auf, frühstückten und starteten zu ihrem Ausflug. Sie wanderten ein Stück in Richtung S’Arraco, bogen dann auf der ersten Höhe nach rechts zum Meer hin ab. Es sah so aus, als hätte es hier vor Jahren gebrannt. Büsche und Sträucher hatten sich breit gemacht, verwitterte Baumstämme lagen dazwischen, hier und da standen junge Pinien.
Sie wanderten bis zur Steilkante über dem Meer und blickten auf den malerischen Ort Sant Elm sowie die Insel Dragonera. Sie gingen an der Kante entlang und setzten sich schließlich auf einen der abfallenden Felsen. Sie genossen die herrliche Aussicht. Die Badebucht war gut besucht. Davor ankerten Boote. Unten tuckerte ein Fischerboot vorbei. Möwen nutzten den Aufwind der Steilküste, um sich in die Höhe tragen zu lassen, dann schwebten sie hinaus übers Wasser. Ein Ausflugsboot fuhr in Richtung Puerto Andratx. Von Dragonera her kam ein Boot auf den Anleger von Sant Elm zu. Hirschberg hatte Bergers Fernglas mit: Es war die „Margarita“.
Später schlenderten sie durch den Ort und kehrten zu einem Imbiss in eine der Bars ein. Anschließend Siesta am Strand. Kathas kleiner Bauch war nicht mehr zu übersehen. Sie streckte sich aus und schloss die Augen, während er mit angezogenen Beinen da saß und die Leute ringsherum beobachtete.
Viele Dickleibige, darunter auch Kinder, stellte er fest. Frauen durchblätterten Illustrierte oder lasen dicke Taschenbuchromane. Ihre Männer lagen zeitunglesend oder untätig daneben. Einige gingen am Wasser auf und ab oder standen mit verschränkten Armen herum. Viele Raucher, ihre Kippen steckten sie in den Sand. Junge Paare schmusten. Eltern sahen ihren Kindern beim Planschen zu; andere betätigten sich selbst mit Schaufel Eimerchen, während sich ihre Kleinen gegenseitig mit Sand bewarfen. Eis wurde geschleckt, Chips wurden reingestopft, Snacks gefuttert, Bier oder Limonade getrunken. Ein älterer Single hatte Hochprozentiges dabei.
Zu hören waren Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Schwedisch, Holländisch – was Europa so an Sprachen zu bieten hat. Katha glaubte, das Paar neben ihnen mit einem vielleicht achtjährigen Sohn spräche Russisch. Im Wasser stand eine Gruppe älterer beleibter Frauen bis zur Hüfte im Wasser. Sie redeten laut und gestenreich.
Plötzlich stand in ein paar Meter Entfernung ein junger fettleibiger und sonnenverbrannter Mann, der Katha fotografierte. Sie fragte ihn, was das solle. Er meinte, dies sei ein öffentlicher Strand. Reihenweise schoss er Bilder von ihr, kam näher, ging wieder zurück, veränderte die Brennweite, wechselte von Quer- auf Hochformat, forderte Hirschberg auf, zur Seite zu rücken. Der erwiderte, er möge gefälligst verschwinden.
Doch dieser aufdringliche Kerl ließ sich nicht verscheuchen. Er legte sich in den Sand und fotografierte aus der Froschperspektive. Sie möge mal aufstehen, bat er. Als er ihr zu einer Großaufnahme recht nahe kam, versuchte sie, ihm die Kamera aus der Hand zu schlagen. „Vorsichtig schöne Frau!“, herrschte er sie an. „Na gut, ich stehe auf. Aber dann verschwinden Sie.“ Er dachte gar nicht daran zu verschwinden. Sie blickte Hirschberg hilfesuchend an. Der erhob sich jetzt auch und ging auf den Mann zu. Doch der wich aus, sein Objekt nicht aus dem Sucher lassend. „Nur noch ein paar Aufnahmen. Gönnen Sie mir das doch bitte! Wenn Sie Ihr Oberteil ablegen könnten, wäre das super.“ Die Leute ringsherum waren längst auf die Szene aufmerksam geworden, standen neugierig dabei, waren im Zweifel, was da gespielt wurde. War da eine ernste Auseinandersetzung im Gange oder ein Happening oder so etwas wie ein Photoshooting?
Hirschberg und Katha war der Aufruhr peinlich. Dem Mann schien es zu gefallen. Er forderte Katha zu erotischen Posen auf. Als die nicht reagierte, beschimpfte er sie. Eine verklemmte Zicke sei sie. Sie solle sich doch nicht so haben. Was sie denn mit diesem Opa am Strand wolle? Unter den umherstehenden Leuten war auch ein junger athletisch gebauter und braun gebrannter Typ mit kahl geschorenem Kopf. Den forderte er auf, sich neben Katha zu stellen, was dieser sofort tat. „Näher zusammen!“, rief der Porno-Fotograf. Der Typ wollte Katha um die Hüfte fassen und an sich ziehen. Doch sie entzog sich, hockte sich auf ihre Matte und begann sich anzuziehen.
Hirschberg packte die Badesachen ein und rollte die Matten zusammen. Der Widerling machte immer noch Fotos und meinte, sie habe die Chance ihres Lebens vertan. Der Kahlkopf verdrückte sich. Die umstehenden Leute kehrten zu ihren Liegen, Handtüchern und Spielen zurück, während die beiden zwar nicht fluchtartig, aber schnellen Schritts den Strand verließen. Der Mistkerl rannte an ihnen vorbei und voraus, drehte sich um, baute sich vor ihnen auf und schoss ein letztes Bild, ehe er dreist grinsend zur Seite ging und meinte, wer sich so abartig verweigere, der gehöre eigentlich an den Pranger gestellt. Statt den Mund zu halten, machte Hirschberg ihn voller Wut darauf aufmerksam, dass die Frau schwanger sei. „Hoffentlich nicht von Ihnen! Sie schwachköpfiger Grufti! Deshalb habe ich sie doch gerade fotografiert.“
Als die beiden zum Auto kamen, holten sie tief Luft, warfen ihre Sachen in den Kofferraum und fuhren los. Katha meinte, er sei ihr aber keine große Hilfe gewesen. Er fragte, was er denn habe machen sollen, er sei kein Bodyguard. „Schon gut“, beschwichtigte sie.
Wieder in Santa Ponça stellte sie sich unter die Dusche. Dann machten sie sich fertig für ihren Besuch bei Frau Schneider. Man würde wohl auf der Terrasse sitzen, vermutete er, als sie fragte, was sie denn anziehen solle. Einen Pullover oder eine Strickjacke mitzunehmen, wäre sicher nicht falsch. Am Abend könne es kühl werden.
Ein Job für Katha?
… mit Witz herunterspielen … einen Wettbewerb veranstalten … Schneiders
Angebot: uns organisatorisch unterstützen … verlockende Idee …
Als sie bei der Schneiderschen Villa vorfuhren, stand das Tor offen. Vor der Garage stand der Pickup des Gärtners. Er lud gerade seine Gerätschaften auf. Die beiden Hunde waren im Zwinger. Nach dem Aussteigen sah sich Katha erst einmal um. Das Ehepaar Schneider kam ihnen aus Richtung Swimmingpool entgegen, sie vorneweg. Herzliche Begrüßung.
Sie nahmen, wie von Hirschberg vermutet, auf der Terrasse Platz. Schneider hatte wohl etwas abgenommen, was schon auf dem Standesamt Hirschberg aufgefallen war. Auch war er nicht mehr der Big Boss, den er von ihrer Besprechung in Köln noch in Erinnerung hatte. Die Schneider erzählte, sie würden mittlerweile hauptsächlich hier leben. „Auch mein Mann. Ich bin keine grüne Witwe mehr.“
Schneider fragte, was er denn zum Trinken anbieten dürfe. Jeder bekam seinen Wunsch erfüllt. Was sie denn so vorhätten, wollte die Schneider von den Hirschbergs wissen. Die Hirschbergs erklärten, keine besonderen Pläne zu haben. Sie erzählten von der Belästigung am Strand. Während Katha voller Empörung den Hergang schilderte, versuchte Hirschberg mit ergänzenden Bemerkungen, das peinliche Erlebnis mit Witz herunterzuspielen.
Dann berichteten die Schneiders von ihren Aktivitäten. In Kooperation mit einer einheimischen Bauträgergesellschaft betrieben sie die Vermarktung von Wohnanlagen mit gehobenem Komfort für wohlhabende Deutsche. Und um das Geschäft auch gesellschaftlich anspruchsvoll zu etablieren, hätten sie in Palma eine Kunstgalerie eröffnet.
„Ihr glaubt gar nicht, was für einen Spaß uns das macht.“
Was sie denn für Künstler ausstellten, wollte Hirschberg wissen. „Da haben wir lange überlegt.“, sagte die Schneider. „Wir haben uns andere Galerien angesehen, haben auch einen kunstverständigen Bekannten aus Köln hergebeten. Um es kurz zu machen: Wir wollen aus dem Rahmen fallen. Aber nicht, indem wir versuchen, den vorherrschenden Strömungen im Kunstbetrieb noch das eine oder andere Krönchen aufzusetzen, sondern durch die Ausstellung einerseits ganz solider Arbeiten traditioneller Bereiche der Bildenden Kunst, beispielsweise der Landschaftsmalerei oder der Porträtmalerei, andererseits durch die Ausstellung beispielsweise junger spanischer Künstler oder durch neu entstehende Bereiche.“
Hirschberg: „Woran denken Sie denn da?“ Die Schneider nahm das ‚Sie‘ auf: „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir zum ‚Du‘ übergehen.“ Zu Katha gewandt: „Dich habe ich ja schon auf dem Standesamt geduzt. Was haltet ihr davon?“ Hirschberg: „Von mir aus gerne.“ Alle griffen zu ihren Gläsern und tranken auf gute Freundschaft.
Jetzt griff die Schneider Hirschbergs Frage auf: „Kriterium für die Auswahl der Künstler, die wir ausstellen, ist: Sie müssen von ihrer Arbeit besessen sein.“ Hirschberg: „Das gefällt mir. Und wie findet ihr die Künstler?“ Schneider: „Wir haben Kontakt mit Kunstakademien aufgenommen, wir besuchen Kunstmessen und Ausstellungen. Zur Zeit überlegen wir, ob wir einen Wettbewerb veranstalten sollen.“ Von Frau Schneiders Kunstprofessor, mit dem sie Hirschberg vor einiger Zeit wegen einer Vortragsreihe angesprochen hatte, war keine Rede. Der hatte wohl ausgedient.
Frau Schneider: „Das Ganze verlangt inzwischen schon einen gewissen organisatorischen Aufwand.“ Zu Katha: „Als du mir am Telefon sagtest, Veranstaltungsmanagement zu machen, hat es bei mir geklingelt. Denn ob im Sport oder in der Kunst – so unterschiedlich ist das gar nicht. Ohne Umschweife gefragt: Hättest du Lust, uns bei unserer Arbeit organisatorisch zu unterstützen?“ Katha: „Das könnte mich reizen.“
Frau Schneider: „Du musst dich nicht jetzt gleich entscheiden. Überlegt euch das in aller Ruhe. Was du auf jeden Fall können solltest, ist Spanisch. Wie sieht das bei dir aus?“
Katha: „Ich weiß nicht, ob Jo dir erzählt hat, dass wir uns nicht nur auf Mallorca kennengelernt haben, sondern dass ich vorher schon eine Weile hier gelebt habe. Ich kann also schon ein wenig Spanisch. Das ist sicher nicht ausreichend. Aber ich traue mir zu, relativ schnell die Sprache zu lernen.“
Schneider: „Das ist ja großartig! Notwendig wäre außerdem, dass ihr euren Hauptwohnsitz hier auf die Insel verlegt. Denn wir müssen eng zusammenarbeiten.“
Hirschberg: „Was du da in Aussicht stellst, ist eine verführerische Perspektive. Noch verführerischer als die Idee der Senioren-Universität, die wir gemeinsam vor einiger Zeit verfolgt haben – bis dir die Steuerfahnder die Laune verdorben haben.“
Schneider: „Erinnere mich nicht daran! Wir sind zwar unbescholten aus der Sache herausgekommen – was ich immer vorhergesagt habe –, aber das hat mich viel Nerven gekostet. Erst jetzt habe ich wieder den Kopf frei für neue Engagements.“
Hirschberg: „Wir überlegen uns das. Bei einer Standortverlagerung bin ja vor allem ich betroffen. Außerdem ist meine junge Frau schwanger.“
Frau Schneider: „Das hat sie mir schon am Telefon verraten. Aber der Umzug sollte auch nicht von heute auf morgen stattfinden. Im Laufe des nächsten Jahres – das würde reichen.“
Schneider: „Wir möchten in keiner Weise drängen. Ihr müsstet uns nur in absehbarer Zeit sagen, ob wir mit euch rechnen können.“
Zu Hirschberg: „Wann willst du denn in deinem Beruf etwas kürzer treten? In Rente willst du vermutlich noch lange nicht gehen. Freiberufler ziehen das immer erst nach ihrem ersten Herzinfarkt in Erwägung. Aber dazu solltest du es nicht kommen lassen.“
Hirschberg: „Du hast Recht. Aber ehrlich gesagt, ich kann mir den sogenannten Ruhestand noch nicht vorstellen.“
Schneider: „Das ging mir genau so. Und jetzt genieße ich es, aus dem Geschäft ausgestiegen zu sein. Dabei bin ich vermutlich jünger als du.“
Frau Schneider wechselte das Thema: „Heute Abend, also gleich, erwarten wir einen Künstler zum Abendessen. Schon mal etwas von einem Karl Löwe gehört?“ Hirschberg: „Nein. Muss man den kennen?“
Frau Schneider: „Der ist nur in bestimmten Kreisen bekannt. Hauptsächlich in Katholischen Akademien. Aber er hat auch schon in der Düsseldorfer Kunsthalle ausgestellt. Löwe ist Priester.“ Hirschberg: „Ehemaliger?“
Frau Schneider: „Irgend etwas macht er noch. Aber sicher nicht hauptamtlich. In der Eifel hat er ein tolles Atelier. Ein altes Gemäuer, eine renovierte Mühle. Wir haben ihn da besucht.“
Hirschberg: „Und wie habt ihr ihn kennengelernt?“
Schneider: „In der Thomas-Morus-Akademie war eine Ausstellung von ihm, auf die uns unser kunstverständiger Bekannter aufmerksam gemacht hatte. Zeitgenössische Kunst zu biblischen Themen. Seine Bilder gefielen uns, da haben wir ihn angesprochen.“
Hirschberg: „Und wieso ist er auf Mallorca?“
Schneider: „Weil wir ihn eingeladen haben.“
Frau Schneider: „Er wird ein paar Tage hier bleiben.“
Hirschberg: „Hattest du nicht schon mal einen Pfarrer hier, mit dem du schlechte Erfahrungen gemacht hast? Hast du mir nicht so etwas erzählt? Dass er deinen Luxus und Müßiggang gerügt habe?“ Frau Schneider: „Dem ich den Kopf gewaschen habe! Du hast aber ein gutes Gedächtnis!“
Schneider: „Der hier hat zu Geld kein Verhältnis. Der lebt ganz der Kunst. Er ist kein armer Schlucker. Sein Atelier solltet ihr sehen! Sparsam, aber sehr kostbar eingerichtet. Er lebt, so sieht es aus, spartanisch. Umgeben von Kunst. Er sammelt Werke anderer Künstler, vor allem Skulpturen.“
Während sie noch über ihn sprachen, hörte man ein Auto in der Einfahrt. Schneider: „Das ist er.“ Er stand auf und ging, ihn zu begrüßen.
Frau Schneider: „Wir haben für ihn einen Mietwagen am Flughafen gemietet, damit er selbständig ist und sich etwas auf der Insel umsehen kann. In Palma wollen wir mit ihm eine Ausstellung machen. Deshalb haben wir ihn eingeladen.“
Schneider kam mit Löwe auf die Terrasse. Er war ein Hüne. Die Schneider musste sich zu seiner Begrüßung mit Küsschen auf die Fußspitzen stellen, obwohl er sich zu ihr herunterbeugte. Sie stellte Hirschberg als Freund des Hauses mit seiner Frau vor. Schneider rückte noch einen Korbsessel in die Runde. Alle nahmen Platz. Frau Schneider in Small talk-Manier: Ob er denn einen guten Flug gehabt und den Weg gut gefunden habe. Schneider wollte wissen, was er zu trinken bringen dürfe.
Von Erscheinung und Stimme, Mimik und Gestik gehörte Löwe nach Hirschbergs Einschätzung zu den Menschen, die bei ihrem Erscheinen sofort alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei trat er eher bescheiden, in seinen Bewegungen etwas hölzern auf. Die Stimmlage war ein tiefer Bass. Seine Augen waren dunkel, sein Blick eindringlich. Kräftige Augenbrauen. Die Haare waren schwarz, ein wenig grau durchsetzt, auf Fingerlänge geschnitten, Mittelscheitel. Knappe Stirn mit zwei Querfalten. Ein mächtiges vorgeschobenes Kinn. Lange Nase mit Höcker. Ein breiter Mund, den ein ständiges Lächeln umspielte. War das ein freundliches Lächeln? Oder ein abgehoben verächtliches Lächeln? Hirschberg war unsicher.
Er beobachtete ihn genau, während sich die Schneiders mit ihm unterhielten. Wenn er sprach, waren seine Hände meist gestenreich beteiligt. Hörte er zu, sah er den Sprechenden mit bohrendem Blick an. Der Mann konnte einen verlegen machen. Bevor er redete, legte er mitunter eine Nachdenkpause ein. Dann erstarrte sein Lächeln zu einer ernsten Miene, die sich erst beim Sprechen wieder löste.
In der Terrassentür erschien Feli, die Köchin. Sie gab Frau Schneider ein Handzeichen, die sich daraufhin erhob und zu Tisch bat. Wie schon bei Hirschbergs erstem Besuch gab es erlesene Speisen und Getränke.
Israel
… Brennpunkt des Weltgeschehens … verstrahlt mehr und mehr nicht nur
den Nahen Osten … allen Friedensbemühungen zum Trotz …
Schneiders und ihre Gäste kamen auf Israel zu sprechen. Denn in Tel Aviv, so erzählte Löwe, hatte er einen Malerfreund. Den werde er in einem Monat besuchen. Hirschberg erzählte von den Israelreisen, die er im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung unternommen habe. Sein Eindruck sei, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern hätten sich immer mehr verschärft. Aber noch gebe er die Hoffnung nicht auf, dass die beiden Völker einen Frieden miteinander fänden. Da er seit ein paar Jahren nicht mehr da gewesen sei – wie die Lage denn im Augenblick einzuschätzen sei?
Löwe: „Niemand hat, so glaube ich, mehr den rechten Durchblick. Jeder beurteilt die Lage gemäß seinem Standpunkt. Ich erlaube mir immer weniger ein Urteil, je mehr Gespräche ich über Israel und mit Israelis führe.“
Sie verließen das Feld der Politik und Löwe sowie Hirschberg erzählten Erlebnisse von den Reisen, die sie in Israel gemacht hatten: Jerusalem, das Tote Meer, der Negev, die Mittelmeerküste, Galiläa, der See Genesaret. Vor allem aber sprachen sie von den Menschen, denen sie begegnet waren, von den Schicksalen, die sie erfahren hatten. Darunter waren viele Schicksale, die nach Deutschland und in den Holocaust führten. Da wurde es still in der Runde. Hirschberg wandte den Blick in die Zukunft und berichtete von seinem Besuch in den Forschungslabors der Universität von Beershewa.
Löwe schwärmte von der Kulturvielfalt, die sich entwickelt habe, aufgrund der unterschiedlichen Herkunft der israelischen Künstler. Es gebe phantastische Museen und Galerien. Das konnte Hirschberg nur bestätigen. Beide erzählten begeistert von der Jerusalemer Altstadt. Hirschberg schilderte eine Begegnung, die er mit Teddy Kollek hatte, als der Bürgermeister Jerusalems war.
Immer mehr Erinnerungen kamen Hirschberg in den Sinn. Etwa sein Besuch in der Wüstenstadt Yamid, mit deren Gründer er ein Interview führte. „Der war besessen von der Idee, eine Stadt zu gründen, eine blühende israelische Stadt an der Mittelmeerküste des Sinai. Doch das Land war besetztes Land und Yamid wurde aufgegeben, als Israel den Sinai an Ägypten zurückgab. Der Frieden war wichtiger als die auf Sand gebaute Stadt.“
Löwe erzählte von seinen Reisen durch Galiläa, von einer Wanderung am Südhang des Carmel, von seinem Aufenthalt in einem nahe gelegenen Künstlerdorf.
Beide waren in der Negevwüste gewesen. Sie hatten die Ausgrabungen der Nabatäerstadt Avdad besichtigt, den Alterswohnsitz Ben Gurions im Kibbuz Sedé Boqér besucht und waren im Wadi Zin gewandert.
An Elat hatte Hirschberg eine besondere Erinnerung. Eine Bootsfahrt mit jungen Israelis in den Golf von Akaba hinaus und abends in die Disko des Caesar Palace, wo der Diskjokey vor allem Modern Talking auflegte.
Die beiden schwelgten in Erinnerungen. Katha und die Schneiders hörten fasziniert zu. Ein Stichwort genügte und schon kamen die Stories. Jericho, Qumran, Massada, Arad, Jordan, Golan, Cäsarea Philippi, Akko, Haifa – es wollte kein Ende nehmen.
Hirschberg: „Am liebsten würde ich gleich morgen wieder hinfliegen!“
Löwe: „Dann kommen Sie doch mit! Ich fliege in vier Wochen wieder hin.“
Frau Schneider: „Ist das nicht viel zu gefährlich, jetzt dort hin zu reisen?“
Löwe: „Es ist nicht so gefährlich, wie es die Medien erscheinen lassen. Wenn man keine Busse benutzt und sich nicht unter größere Menschenansammlungen mischt, ist man ziemlich sicher.“
Schneider: „Ich weiß nicht – ich glaube, ich würde mich nicht wohl fühlen in einem Land, in dem seit Jahren unablässig getötet wird.“
Löwe: „Ich habe einen Traum: Israel und Palästina sollten gemeinsam zum Weltgeschichts- und Kulturerbe erhoben und dann unter der Federführung der Vereinten Nationen befriedet und verwaltet werden.“
Hirschberg: „Eine großartige Idee – wie die von Herzl, dort einen jüdischen Staat zu gründen.“ Schneider: „Leider wohl ein unerfüllbarer Traum.“
Löwe: „Nirgendwo in der Welt lagert so viel Geschichte aufeinander wie in Israel und Palästina. Nirgendwo zeigt sich die Zerrissenheit der Welt so grausam wie in diesen beiden Ländern. Nirgendwo anders wird das Schicksal der Menschheit so offenkundig wie in diesem Brennpunkt der Weltgeschichte.“
Hirschberg: „Haben Sie mit Ihren israelischen Freunden über Ihren Traum gesprochen?“
Löwe: „Die sagen, das sei mit den Palästinensern nicht möglich.“
Hirschberg: „Und die Palästinenser sagen mit Sicherheit, das ginge mit den Israelis nicht.“
Löwe: „Und so steigert sich der Unfriede, die Feindschaft, der unerbittliche Hass und Fanatismus von Exzess zu Exzess und verstrahlt mehr und mehr die ganze Welt. – Kommen Sie mit?“
Hirschberg sah Katha an, die während der ganzen Zeit nichts gesagt, aber mit großen Ohren zugehört hatte.
Katha: „Wenn du fliegst, komme ich mit.“ Zu Löwe: „Ich darf doch?“ Löwe: „Kein Problem.“ Hirschberg: „Wir prüfen das.“
Weit nach Mitternacht machten sich die Hirschbergs auf die Heimfahrt. Er: „Jetzt haben wir zwei verlockende Angebote. Eine Reise nach Israel und die Übersiedlung nach Mallorca.“ Sie: „Beides sehr verlockend.“
Am nächsten Tag fuhren die Hirschbergs zur „schönsten aller Buchten“, der Bucht, zu der sie vor eineinhalb Jahren am ersten Tag ihrer Bekanntschaft einen Ausflug gemacht hatten. Auf der Fahrt sprachen sie über die mögliche Israelreise. Wie würden die Kunden reagieren? Im Frühjahr war er für längere Zeit nicht zu erreichen wegen seiner Süd- und Nordamerikareise, jetzt zwei Wochen auf Mallorca und in vier Wochen – wenn sie sich dazu entschieden – war er in Israel. Unter so viel Abwesenheit litt das Geschäft, das war sicher.
Eine Umsiedlung nach Mallorca würde eine grundsätzliche Umstellung seiner Arbeit erfordern. Kam das in Betracht? Wollte er das? Seminare auf Mallorca – das ließe sich machen, Beratung nicht. Er war unschlüssig.
Katha wollte beide Entscheidungen ihm überlassen. Denn für ihn ginge es um Grundsatzentscheidungen. Sie reize es sehr, Israel kennenzulernen. Gefahren seien sicher gegeben, aber in Rio sei es auch nicht ungefährlich gewesen. Wenn man einheimische Begleitung habe, sei das Risiko nicht so hoch. Und Seminare auf Mallorca – die würde sie ihm gerne organisieren. Er hörte heraus: beide Angebote annehmen.
Wenn er zurückschaute: Bisher hatte er diese Art von Reiseangeboten in seinem Leben noch nie ausgeschlagen. Denn schon immer war seine Überzeugung, dass man ein Land am besten kennenlernt, wenn man bei seinen Menschen zu Gast ist, sie einem ihr Land zeigen.
Der erneute Besuch in „ihrer Bucht“ war enttäuschend. Sie war ganz offensichtlich in ihrer Idylle von denen entdeckt worden, die jede Idylle für sich haben wollen – und dadurch zerstören. Wie bei schönen Blumen, die von der Natur hervorgebracht, aber dann von einer egoistischen Hand abgepflückt und zuhause in die Vase gestellt werden. Hätte man die Häuser, die in ihrer Niedlichkeit der Bucht das Pittoreske gaben, durch eine behutsame Renovierung als Gesamtkomplex vor dem Verfall bewahrt, wäre es sicherlich möglich gewesen, diesen märchenhaft geborgenen und verborgenen Ort zu erhalten. Jetzt war stillos und brutal etwa die Hälfte der Häuser und Hütten saniert worden, verriegelte und verrammelte Ferienhäuser; die anderen verfielen weiter. Was waren das für Baubehörden, die solch einen blind zerstörenden Egoismus zuließen?
Die beiden badeten, schwammen ein Stück hinaus, ließen sich auf den Felsen von der Sonne wieder aufwärmen und fuhren zurück nach Santa Ponça.
Am Abend waren die Hirschbergs wieder bei den Schneiders. Denn Löwe hatte mit seinen israelischen Freunden telefoniert und wollte nochmal mit ihnen über ihre eventuelle Reise sprechen. Hirschberg saß mit Löwe auf der Terrasse. Schneider war mit der Begründung, er müsse noch ein paar Telefonate führen, ins Haus gegangen. Frau Schneider hatte Katha gebeten, ihr beim Schmieren von ein paar Schnittchen zu helfen. Feli hatte ihren freien Tag.
Löwe informierte: Seine Freunde seien gerne bereit, sie zu empfangen. Sie würden auch einen Guide engagieren, der für sie eine Rundreise organisieren und begleiten werde. Dazu brauchten sie eine Aufstellung der Orte, die besucht werden sollten. Übernachtungen, Fahrtkosten und Guide seien zu bezahlen. Wie viel zu zahlen sei, ergäbe sich aus ihren Vorgaben. Diese müssten sie so schnell wie möglich haben. Jetzt ginge alles rasend schnell – wenn sie denn wollten, sagte Löwe. Hirschberg sicherte zu, sich in den nächsten zwei bis drei Tagen mit einer verbindlichen Antwort zu melden.
Er war innerlich bereits entschlossen, die Reise mit Katha zu machen. Morgen würden sie checken, ob das von ihrer Arbeit her zu machen wäre, und er wollte noch zwei Bekannte anrufen, von denen er wusste, dass sie vor nicht allzu langer Zeit in Israel waren. Die wollte er über die Situation im Lande und bezüglich der Sicherheitslage befragen. Jetzt nutzte er das Zusammensein, um Löwe etwas näher kennenzulernen.
Er erfuhr: Der Mann hatte die übliche Ausbildung zum Priester absolviert, war einige Jahre Pfarrer einer größeren Gemeinde und vor ein paar Jahren hatte man ihn auf eine kleine Pfarrstelle in der Eifel versetzt. Schon als Kind hatte er gerne gezeichnet und gemalt. Aber das zu seinem Beruf zu machen, hatte er nie erwogen. Er wollte Priester werden. Also malte er nebenher.
In seiner ersten Pfarrgemeinde war ein Künstler, der eine akademische Ausbildung hatte und mittlerweile Professor an der Kunsthochschule in Düsseldorf war. Der sah eines Tages einige von Löwes Arbeiten im Pfarrhaus und erkannte Talent darin. Er gab ihm Unterricht, wurde sein Lehrer. Die Beschäftigung mit der Kunst brachte ihn mehr und mehr zu der Einsicht, dass die Verkündigung der Frohen Botschaft zu allen Zeiten auch durch die Bildenden Künste geschah. Die Kirchen waren voller Bilder und Skulpturen.
Sein Lehrmeister mahnte ihn, sein Talent für eine christliche Kunst der Gegenwart zu nutzen. Er versuchte sich an Themen des Alten wie des Neuen Testaments, malte für seine Kirche einen Kreuzweg. Nach und nach fand er seinen Stil, der vor allem von der Farbigkeit seiner Bilder geprägt wurde. Erste Ausstellungen fanden statt. Schließlich, so erzählte Löwe, habe er Seelsorge und Malen nicht mehr als Tätigkeiten nebeneinander geschafft. Daraufhin habe er seinen Bischof gefragt, was er tun solle. Der sei von seinen Bildern angetan gewesen und habe ihn dazu bewogen, sich hauptsächlich der Malerei zu widmen und ihn dann auf die kleine Pfarrstelle in der Eifel versetzt.
Woher denn der Kontakt zu Israel komme, wollte Hirschberg wissen. Der habe sich bei einer seiner Ausstellungen ergeben. Wie lange er jetzt in Israel bleiben wolle? Drei Wochen, es sei eine Gemeinschaftsausstellung mit seinem israelischen Freund in Kopenhagen geplant, die wollten sie vorbereiten. Ob es nicht störend sei, wenn er und Katha mitkämen? Keineswegs. Sie würden ja eine Rundreise machen, während er in Tel Aviv bleibe.
Katha kam und bat die Herren zu den fertigen Schnittchen. Am Tisch unterhielten sich die Schneiders und Löwe über die für Dezember geplante Ausstellung in Palma. „Keine Adventsmotive“, meinte Schneider. Löwe: „Aber die Weihnachtsfreude möchte ich schon sichtbar machen. Bei Ihrem nächsten Besuch zeige ich Ihnen, an welche Bilder ich denke: Betlehem heute.“
Die Hirschbergs verabschiedeten sich. Im Auto erzählte Katha, wie gut sie sich mit der Schneider unterhalten habe. Die sei ihr sehr sympathisch.
Hirschberg: „Das ist eine kluge und lebenstüchtige Frau, die das Herz am rechten Fleck hat.“
„Von der kann ich bestimmt eine Menge lernen.“ „Du möchtest also bei ihr anfangen.“ „Ja. Aber es bleibt dabei: Nur wenn wir eine gemeinsame Perspektive darin sehen.“
Die erste der beiden Wochen auf Mallorca war vorüber. Die Kligers kamen. In Bergers Wohnung wurde es eng. Hannelore und Bob wollten am ersten Tag nur entspannen. Man entschied sich, gemeinsam nach Sa Rapita zu fahren. So wie die anderen am Strand liegen, das mochte Hirschberg nicht. Er ging am Wasser entlang spazieren. Er kam nach Ses Covetes, wanderte in die Dünen hinein und legte sich in den Schatten einer Pinie. Israel – ja, diese Reise würden sie machen.
Zurück bei den anderen meinten die, sie hätten ihn schon suchen wollen. Er entschuldigte sich damit, dass er ein schönes Schattenplätzchen gefunden habe und dort eingeschlafen sei. Wovon er denn geträumt habe, wollte Katha wissen. „Von Israel!“ Sie lachte und umarmte ihn. Hirschberg wollte von den Kligers wissen, ob sie denn morgen fit für eine Wanderung seien. Ja, morgen seien sie zu allem bereit.