Gottes Liebe als Lebensgrund

Wie ich versuche, die Gebote Gottes als
meine Lebens­wirk­lichkeit zu verstehen

Als Papst Benedikt XVI. gefragt wurde, wie viele Wege es zu Gott gäbe, antwortete er: „So viele, wie es Menschen gibt.“ Er verweist mich also auf mich selbst: Ich muss meinen eigenen Weg gehen. Dazu muss ich meine Begabungen, die Vorbilder und Beispiele meines Umfelds nutzen! Ich bin auf mich selbst gestellt, ich bin eigenverantwortlich.

Die Gebote Gottes sind meine Orien­tierung für die Lebens­führung in der Gemein­schaft der Mitmen­schen. Ich muss sie auf mich anwenden. Das geht nur, wenn ich sie als Bestandteil meines religiösen Lebens immer wieder bedenke. So werden sie „meine Gebote“ – Wegweiser auf meinem persön­lichen Weg zu Gott.

An zwei Stellen des Alten Testa­ments wird Gottes Gebot für das Verhältnis zu meinen Eltern aufgeführt:

Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land,
das der Herr, dein Gott, dir gibt. > Buch Exodus
Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt. > Buch Deute­ro­nomium

Welche Wegweisung wird mir mit diesem Gebot gegeben? Wie kann ich sie immer wieder für mich aktua­li­sieren und meine Verbes­se­rungen daraus ableiten?

Familie als Überlebenseinheit

Am Grab meines Vaters wurde mir schlag­artig klar: Jetzt stehst du in der vordersten Reihe des Lebens. Niemand geht mehr vor dir, der dir den Weg ebnet und bei dem du abschauen kannst, wie man etwas anpackt – oder auch besser nicht.

Beim Tode meiner Mutter habe ich große Dankbarkeit verspürt. Sie war immer für mich da, hat meine Eigen­wil­ligkeit ertragen und mir Freiheit gegeben – auch wenn sie sich Sorgen gemacht hat und ich nicht gerade freundlich zu ihr war.

In unserer Familie habe ich Gemein­schaft erfahren. Wir waren eine Überle­bens­ge­mein­schaft. Wir Kinder erlebten bei den Eltern, wie man das in schweren Zeiten schafft. Wir wurden mit eigenen Aufgaben beteiligt.

Je älter ich werde, umso mehr erkenne ich, was meine Eltern für uns Kinder geleistet haben. Vor allem in den Kriegs- und Nachkriegs­jahren. Sie haben wie alle Eltern Erzie­hungs­fehler gemacht. Ich habe sie einiger­maßen aufar­beiten können.

Erziehung mit liebe­voller Autorität

Mein Vater war autoritär; er hatte das letzte Wort. Aber wenn ich ihn von etwas überzeugen konnte, bekam ich, was ich wollte. Wenn ich etwas angestellt hatte: Eine Ohrfeige von ihm war mir lieber als die endlosen Vorhal­tungen meiner Mutter.

Meine Eltern hatten auch ihre eigenen Inter­essen und Vorlieben. Aber das ging nicht auf unsere, der Kinder Kosten. Bei uns gab es klare verläss­liche Regeln. Wir wussten immer, wo wir dran waren. In unserer Familie wurde Liebe gelebt – voller Emotionen.

Jeder braucht eine Ursprungs­fa­milie. Jeder braucht spürbar die Gebor­genheit, Fürsorge und Liebe von Vater und Mutter. In den ersten Jahren sehr intensiv. Denn wir werden recht unfertig geboren, aber mit unendlich großem Potenzial.

Um unser Potenzial entwi­ckeln zu können, sind wir auf unsere Eltern angewiesen: ihre Zuwendung, ihre Verständ­nis­fä­higkeit, ihr Vorbild. Nur durch ihren Umgang mit uns als Babys, als Kinder und Jugend­liche können wir in diese Welt hineinwachsen.

Wenn das Verliebtsein Wurzeln schlägt

Die Zeit des Verliebt­seins gibt eine Vorahnung ewiger Glück­se­ligkeit. Aber man kann diesen Zustand nicht dauerhaft auf die Erde zwingen. Was man kann: Zu einer Lebens­ge­mein­schaft zusam­men­wachsen, in der sich die Liebe zuein­ander verwurzelt.

Die Erfahrung, dass Verliebtsein eine flüchtige Lebens­phase ist, lässt sich nicht durch ständig neue Liebes­af­fären aufheben. Wer es für ein Zeichen ewiger Jugend hält, sich immer wieder neu zu verlieben, zeigt nicht Jugend, sondern Unreife.

Paare, die eine Familie gründen wollen, müssen vorher bedenken, dass Familie eine auf Dauer angelegte Konstel­lation ist. Denn Kinder brauchen einige Jahre, um erwachsen zu werden und selbständig ihre Lebens­ge­staltung leisten zu können.

Auch Paare, die nicht mehr als eine Freizeit­ge­mein­schaft mitein­ander bilden wollen, wünschen sich Dauer­haf­tigkeit. Treue hat aber Voraus­set­zungen. Verliebt zu sein, ist eine wunderbare Zeit – aber sie geht vorüber. Darauf muss man vorbe­reitet sein.

Wozu Familie?

In den vergan­genen Jahrtau­senden wurden die Grund­fä­hig­keiten des Überlebens, so wie sie sich in einer Gruppe, einem Clan, einem Volk, in einer Gesell­schaft heraus­ge­bildet hatten, von Generation zu Generation weiter­ge­geben. Kerneinheit der Gesell­schaft war die Familie.

Die Wehrtüch­tigkeit der Männer sicherte die Existenz als freies Volk. Denn sonst landeten alle in der Versklavung, dem schlimmsten Ereignis für ein Volk. Kriege kennzeichnen die Geschichte der Menschheit. Auch heute herrscht in vielen Regionen der Welt kein Friede.

Die Zukunft eines Volkes hängt von der jeweils nächsten Generation ab. Das gesamte soziale Umfeld nahm früher neben den Eltern Einfluss auf die Heran­wach­senden. Wissen und Fertig­keiten der Alltags­be­wäl­tigung wurden mit Nachdruck weitergegeben.

Die klaren Vorstel­lungen, was Familie ist und was sie für die Gesell­schaft zu leisten hat, haben sich in unserer Zeit bei vielen Menschen indes aufgelöst. Wir können als Einzel­per­sonen überleben. Die Lebens­ri­siken sind über die Sozial­ab­gaben abgedeckt. Wir leben in einer Staatsgemeinschaft.

Die Erzie­hungs- und Bildungs­auf­gaben der Eltern hat der Staat weitgehend übernommen. Alle Kinder sollen zur Berufs- und Gesell­schafts­taug­lichkeit befähigt werden. Die Erwach­senen sollen dauer­haften Wohlstand schaffen und ihr Leben genießen können.

Was taugen wir heute als „Vater“ und „Mutter“?

Die Eltern­si­tuation heute: Die aus der Ursprungs­fa­milie früherer Zeiten sich ergebende allge­meine Lebens­tüch­tigkeit des Einzelnen ist nicht mehr gegeben. Die Zahl der Mütter und Väter, die in der Erziehung ihrer Kinder eine ihnen zukom­mende Aufgabe sehen, nimmt ab.

Viele Eltern sind dieser Aufgabe schon gar nicht mehr gewachsen. Eltern konzen­trieren sich heute auf ihren Beruf und die Freizeit­ge­staltung. Sie erledigen nur noch das, was der Staat an Kinder- und Jugend­be­treuung sowie an Ausbildung nicht übernommen hat – beispiels­weise Fahrdienste.

Nur wenige Eltern reflek­tieren, was da gesell­schaftlich vor sich geht. Nur wenige versuchen gegen den Trend, ihrer Eltern­aufgabe in eigener Souve­rä­nität gerecht zu werden – auch wenn sie dadurch Benach­tei­li­gungen oder gar Verachtung hinnehmen müssen und zu Außen­seitern werden.

Erst der Beruf, dann die Familie! Oder?

In den hoch entwi­ckelten Wohlstands­ge­sell­schaften verlangt das Wirtschafts­leben große Flexi­bi­lität. Diesem Anspruch kann man oft nur noch als Single gerecht werden. Aber damit wird die Dauer­haf­tigkeit des Lebens­ent­wurfs „Ehe und Familie“ aufgegeben.

Trotz vieler Bemühungen, eine Verein­barkeit zwischen Familie und Beruf zu ermög­lichen – nur wenige schaffen es. Denn acht und je nach Karriere weit mehr Stunden pro Tag im Job – was bleibt da neben den Schlaf­zeiten für die Familie an Zeit und Energie übrig?

Ehen scheitern, Familien zerbrechen. Oft ist es der Mann, der sich verab­schiedet und die Mutter mit den Kindern allein lässt. Das Zerbrechen von Familien hat viele Ursachen. Die Spreng­sätze sind sowohl indivi­duell als auch gesell­schaftlich verursacht.

Die Katho­lische Kirche wird den Nöten von Eltern und Kindern einer Trennung nicht gerecht, wenn sie mit rigorosen Forde­rungen dagegen hält. Angemessen ist allein die liebe­volle Zuwendung, deren Voraus­setzung Glaub­wür­digkeit ist. Die hat das Verhalten vieler Bischöfe im Missbrauchs­skandal zerstört.

Das Zeugnis und Lebens­bei­spiel lebens­tüch­tiger katho­li­scher Eltern könnten der Kirche die Kompetenz geben, in die Gegenwart hinein­zu­wirken. Die Priester haben dazu nicht die erfor­der­liche Glaub­wür­digkeit ihres Lebens­bei­spiels. Das Zölibat trennt, was Gott einander als Geschlecht­lichkeit zugeordnet hat.

Entschei­dungen

Wenn sich zwei „erkannt“ und beschlossen haben „wir bleiben zusammen“, kommt es darauf an, sich durch die Dynamik unserer Zeit nicht ausein­ander treiben zu lassen. Das heißt vor allem: sich weiter­ent­wi­ckeln, jeder für sich und beide gemeinsam.

Alles andere führt zu den Gefahren, in die alle geraten, die meinen, eine Ehe habe von allein Bestand – oder eben nicht. Die Lebens­um­stände ändern sich: Will man sie gemeinsam meistern? Das erfordert belas­tungs­fähige gemeinsame Lebensvorstellungen.

Meine Frau und ich haben uns, als es ernst wurde, der Frage gestellt: Was für eine Art von gemein­samem Leben wollen wir? Unser indivi­du­elles Leben sollte im gemein­samen Leben aufgehen – nicht als Addition, sondern als Verflechtung.

Uns war klar, dass wir bei unserer Lebens­ge­staltung nur die nächsten fünf Jahre einiger­maßen überschauen konnten. Wir mussten Risiken eingehen und Optionen offen halten. Unser Einsatz: Kreati­vität, Ausdauer und ständige Verbesserung.

Auch haben wir überlegt, wo denn unser gemein­sames Zuhause sein sollte. Auf dem Land nahe der Natur, aber in Reich­weite einer Stadt! Doch war das auch das „Land“, das Gott für uns vorge­sehen hatte? Würde es uns dort „gut gehen“? Würde das auch für Kinder passen?

Als Jungge­selle hatte ich mich nach einer Brasi­li­en­reise bereits gefragt: Wo musst du deine Fähig­keiten und das, was du gelernt hast, einsetzen? Auf der Wohlstands­insel „Europa“ oder dort, wo Menschen Not leiden, wo Menschen Hilfe brauchen?

Ich sagte mir: Die Gesell­schaft, in die du hinein geboren worden bist, ist „das Land“. Dort hast du deine Fähig­keiten erlangt, dort kannst du sie am besten einsetzen. Wir haben diese Überlegung zu unserer gemein­samen Entscheidung gemacht.

Mein Vater hat zuletzt als Pflegefall bei meiner Schwester gelebt, meine Mutter bis zur Einlie­ferung ins Krankenhaus bei uns. Der Schwie­ger­vater starb im Krankenhaus. Ebenso meine Schwie­ger­mutter; in der Sterbe­stunde war meine Frau bei ihr.

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