Wie ich versuche, die Gebote Gottes als
meine Lebenswirklichkeit zu verstehen
Sportveranstaltungen, Ausflüge, Besuche – der Sonntag oder das Wochenende geben uns die Zeit für selbstgewählte Unternehmungen, für Abwechslung zu unseren Arbeitstagen, zu Hobbies. Manche nutzen den Sonntag auch zum Abschalten, zum Verschnaufen, zur Muße. Nur für wenige ist es selbstverständlich, in die Kirche zu gehen und Gottesdienst zu feiern. Meine Eltern gingen jeden Sonntag zur Messe.
Als Knirps saß ich mit den anderen Kindern ganz vorne. Später habe ich bis zum Stimmbruch in der Schola des Domchors gesungen. Danach war ich in einem Sportverein. Wegen der Wettkämpfe kam oft nur noch die Frühmesse in Frage. Als Erwachsener habe ich erst nach der Liturgiereform aus den Gewohnheiten meines „Milieu-Katholizismus“ heraus zum Sinn und „Geheimnis“ meines Glaubens gefunden.
An zwei Stellen des Alten Testaments wird ein Ruhetag, der Sabbat, als der Tag genannt, den es zu heiligen gilt:
Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! > Buch Exodus
Achte auf den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr,
dein Gott, zur Pflicht gemacht hat. > Buch Deuteronomium
Wie verstehe ich diese Worte? Welche Wegweisung steckt für mich darin?
Wie kann ich sie immer wieder für mich aktualisieren und meine Verbesserungen daraus ableiten?
Unser Lebensziel: Das Reich Gottes
Gläubige Juden halten den Sabbat heilig, Muslime den Freitag, Christen den Sonntag. Synagoge, Moschee, Kirche. Es wird auf Gott hin orientiert. Von Menschen! Von Rabbinern, Imamen und Priestern. Allesamt unvollkommene Menschen.
Sie verkünden Glaubensvorstellungen entsprechend ihrer Begabung, ihrer Sozialisierung und Ausbildung; entsprechend ihrer Mission und ihrer Absicht. Gottesdienste verfehlen die Aufforderung, den siebten Tag der Woche als Ruhe- und Gebetstag zu heiligen, wenn sie nicht zum Gebet mahnen.
Ausdrücklich wird den Israeliten gesagt, dass sie an diesem Tag nicht arbeiten sollen. Aber was ist Arbeit heute? Was für den einen Arbeit ist, dient dem anderen als Freizeitbeschäftigung. Manche Freizeitaktivität ist anstrengender als Arbeit.
Neben dem persönlichen Leben des Glaubens im Alltag hat der Sonntag die Bedeutung, aus der Fixierung auf den Beruf, auf Erfordernisse wie Essen, Trinken, Kleiden und Wohnen herauszutreten. Was ist noch wichtig im Leben? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, mahnt Christus!
Heraustreten aus der Alltagsspur! Heraustreten aus den beruflichen Anforderungen, aus der Notwendigkeit des Geldverdienens, aus dem Streben nach Anerkennung und Wohlstand. Am Sonntag gilt es, den Blick auf unser Lebensziel „Gott“ zu richten.
Tödliche Langeweile oder Freizeitstress
In meiner Jugendzeit gab es eine Phase, in der meine Sonntage bedrückend langweilig waren. Mit den Freunden aus der Nachbarschaft lungerte ich herum. Wir wussten nichts mit unserer Zeit anzufangen, wir hatten zu nichts Lust. Wir trieben nur lauter Unsinn.
Ich hatte das Empfinden, die Welt findet außerhalb von Elternhaus, Nachbarschaft und Schule statt, wusste aber nicht wo. Schließlich dehnte ich meinen Aktionsradius über das angestammte „Revier“ hinaus aus. Mein Leben wurde wieder ereignisreich und spannend.
Langeweile hat mit den Freuden des „zur Ruhe kommen“ nichts zu tun. Langeweile ist Symptom dafür, dass man aus dem Rhythmus von Anspannung und Loslassen, von Aktion und Innehalten herausgefallen ist. Nach der Gammel-Phase war mein Leben in Stress ausgeartet. Ich musste den Rhythmus lernen.
In die Gefahr von Langeweile – von der man sagt, dass sie tödlich sei – geraten Menschen, denen man in ihrer Kindheit nicht die Chance zur Eigeninitiative gegeben hat, die verwöhnt und nicht zur Selbständigkeit herausgefordert wurden, denen man statt dessen nur ständig etwas eingetrichtert hat.
Eltern, Betreuer, Erzieher und Lehrer verlangen von ihren Schützlingen viel zu selten, das selber zu tun, wozu sie gemäß ihrem Alter und ihrer individuellen Veranlagung fähig sind. Statt dessen herrscht Leistungsdruck. Aber nur wer aufgrund selbst gewollter Anstrengung an seine Grenzen stößt, findet auch zur Ruhe.
Fehl erzogene Kinder, die mit sich nichts anfangen können, brauchen auch noch als Erwachsene ständig Vormünder, die ihnen sagen, wo es lang
geht: Vorgesetzte, Leitwölfe, Mannschaftsführer. Fallen die aus – beispielsweise weil man keinen Job hat – ist sie wieder da, die „tödliche“ Langeweile.
Der Sonntag: Besinnungstag
Der Sonntag hilft mir, mein Leben in Einklang zu bringen, mein Leben als Einheit zu verstehen, meinem Leben Sinn zu geben und mich immer wieder auf mein Ziel auszurichten. Die Zwänge des Alltags kommen auf den Prüfstand. Was bringt mich in Gefahr, mein Ziel zu verfehlen?
Sonntags pflege ich Zeiten, in denen ich nichts, aber auch gar nichts tue. Ich sitze oder liege bequem irgendwo drinnen oder draußen, entspanne, verlangsame den Atem, schließe die Augen und lasse den Gedanken freien Lauf. Das sind herrliche Zeiten.
Oft schlafe ich nach einer Weile ein und versinke in einem Tagtraum. Das ist wohltuend. Wie unter der Dusche: Hektik, Zeitdruck, Sorgen und Verkrampfung fließen ab. Wieder wach richte ich meine Gedanken auf das Schöne und Gute meines Lebens und danke Gott.
Um mich auf Gott hin orientieren zu können, brauche ich Stille. Aus dieser Stille heraus suche ich Gott in seiner Schöpfung zu erkennen: in mir, in meinen Nächsten, ihrem Glaubenszeugnis, in der Natur, in den Zeugnissen seiner Offenbarung, der Kunst.
Am Sonntag überdenke ich die Ereignisse der vergangenen Woche: die Gespräche; was ich erreicht habe und was mir misslungen ist; wo ich mich geirrt oder einen Fehler gemacht habe; wo mein Umgang mit der Wahrheit nicht korrekt war.
Ich versuche, nicht auszuweichen. Wem habe ich auf die Füße getreten? In welchen Situationen war ich nicht wohlwollend? Über wen habe ich geurteilt, obwohl ich zu wenig wusste und mir kein Urteil zustand? Daraus ziehe ich Schlussfolgerungen für mein Reden und Handeln.
Meine Arbeit, meine Teilnahme am Wirtschaftsleben, mein Umgang mit Kollegen, Auftraggebern, Kunden, meine fachliche Kompetenz, meine Entscheidungen mit Auswirkungen auf andere und die Umwelt – am Sonntag ist die Zeit, darüber nachzudenken!
Gottesdienst feiern!
In der Ruhe und dem Frieden des Sonntags suche ich die Gemeinschaft derer, die meinen Glauben teilen. Wir feiern Gottesdienst. Wir loben und danken Gott. Wir hören sein Wort und in der Eucharistie nehmen wir die Vorerfahrung unseres Lebenszieles mit Christus in uns auf.
Es erfüllt mich mit Freude, wenn der Priester zu Beginn Gemeinschaft herstellt, indem er die Gläubigen begrüßt, sich und die Mitwirkenden vorstellt (nicht alle kommen regelmäßig zum Gottesdienst, manche sind Gäste) und mit persönlichen Worten die gemeinsame Feier einleitet.
Zum Gemeinschaftserlebnis wird eine Feier, wenn sich die Teilnehmer einbringen können: als Lektoren, als Ministranten, als Sprecher der Fürbitten, als Chor – es gibt viele Talente, die beteiligt werden können. Sich gegenseitig im Glauben darin bestärken, Zeugnis zu geben.
Mir hilft eine Predigt, die auf der Höhe der Zeit argumentiert, Lebenserfahrung von heute widerspiegelt und die Zuhörer mit persönlicher Ausstrahlung erreicht. Das bereichert mich, bestärkt mich in meinem Glauben, hilft mir in den Anfechtungen einer heidnischen Umwelt.
Es macht mich wütend, wenn der Priester in seiner Predigt auf den Zeitgeist, die Gottlosigkeit heute und die zahllosen Verführungen der Jugend schimpft – keiner der Anwesenden fühlt sich angesprochen. Ich gerate in Versuchung, die Feier zu verlassen und nicht wiederzukommen.
Es ist für mich schwer erträglich, wenn ich in eine Messe gerate, in der wir – wir, die letzten, die sonntags noch in die Kirche gehen, vorwiegend ältere Menschen, meist Frauen – vereinzelt in den überwiegend leeren Bänken sitzen. Warum ruft der Priester uns nicht zusammen nach vorne?
Es macht mich traurig, wenn der Zelebrant kein persönliches Wort, sondern nur die vorgeschriebenen Worte spricht, wenn der Gottesdienst mit der Ansage oder Projektion der Liednummer „Zum Einzug“ beginnt – sonst nichts. Gedankenlose Routine. Anonymität. Einsamkeit.
Statt eines solchen Gottesdienstes sehe ich dann lieber im Fernsehen die Übertragung der „Hour of Power“ aus Los Angeles. Dort begrüßen sich die Teilnehmer mit der wundervollen Aussage: „Gott liebt dich! Und ich dich auch!“
Es gibt in der Katholischen Kirche das Hochamt, den Festgottesdienst, die Papstmesse. Es gibt prachtvolle Prozessionen. Prunkvolle Veranstaltungen zur Verehrung Gottes. Gott ehren – würdig, sinnenfroh und demütig! Ja, aber ich wünsche mir als Pendant die liebevolle Abendmahlsgemeinschaft!
Gemeinschaft der Gläubigen
An der Gestaltung des Sonntags als „Tag des Herrn“ kann jeder in seiner Pfarrgemeinde mitwirken – wenn man ihn lässt. Mancher Pfarrer sieht in einer solchen Beteiligung leider nur eine Einmischung in seine ureigenen Angelegenheiten, eine Beeinträchtigung seiner Arbeit durch Dilettanten.
Wer sich in seiner Pfarre engagiert, muss sehr behutsam vorgehen und viel Zeit und Geduld mitbringen. Etwa wenn man bei der „Gremienarbeit“ mitmachen möchte. Denn von effektiver Gesprächsgruppenarbeit und Beschlussfassung verstehen dort nur wenige etwas.
Systematisches Vorgehen in der Seelsorge wird oft mit dem Argument abgelehnt, man sei doch kein Wirtschaftsunternehmen. Auf höherer Ebene (Generalvikariate, Provinzleitungen) schämen sich viele Entscheidungsträger, Rat von „Laien“ anzunehmen.
In das „spirituelle Klima“ vieler katholischer Priester, die sich als von Gott berufene „Hirten“ ohne den Ballast von Frau und Kindern verstehen, passt der Laie nur als „Schaf“. An dieser Einstellung haben weder Konzil noch Synode viel ändern können. Also: Nicht aufdrängen!
Doch: Es gibt Pfarreien, deren Pfarrer „lebendige Gemeinden“ haben entstehen lassen. Das sind Oasen, in denen sich die Kraft des Glaubens zeigt. Da wird Zukunft sichtbar, da ist der Sonntag Leben spendender „Tag des Herrn“. Also: Mitmachen!