Kapitel 6
Der Zündfunke zielstrebigen Agierens: Initiative
Zu einem selbständigen Leben gehört: Initiative entfalten. Nicht nur gegenüber seiner Umwelt, sondern vor allem sich selbst gegenüber. Permanente Selbstentwicklung führt zu selbstbewusster Lebensgestaltung. Initiative muss sowohl auf Selbstverbesserung als auch auf Verbesserung des Umfelds gerichtet sein.
Von allein tut sich nichts. Rühren muss sich, aktiv werden, handeln, wer leben will. Früher vollzog sich das innerhalb des sozialen Netzes einer Familie, heute im Rahmen der staatlichen Wirtschafts- und Sozialordnung. Um zu leben, braucht man heute nicht mehr Familie, sondern einen Arbeitsplatz. Da ein solcher von keinem garantiert werden kann, muss ein jeder von uns schon aus diesem Grund Initiative entwickeln.
Erfolg auf Anhieb ist selten
Aber wie wird man initiativ? Beispiel: Eine Abiturientin hat sich entschlossen, für ihr Berufsziel „Finanzmanagement“ als erstes eine kaufmännische Lehre in einem überschaubaren mittelständischen Unternehmen zu machen. Bei der Industrie- und Handelskammer besorgt sie sich Adressen. Sie will zu den Unternehmen hingehen, sie sehen: In welcher Umgebung sind sie ansässig? Wie empfängt man sie? Welchen Eindruck macht das, was sie zu sehen bekommt? Auf was für Menschen trifft sie?
Sie verschickt keine Bewerbungsunterlagen, sondern E‑Mails, in denen sie um einen Besuchstermin bittet. Als Grund ihrer Nachfrage „Mitarbeit auf Zeit“ nennt sie ihr Interesse an kaufmännischer Arbeit im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft. Konkret nach einer Lehrstelle will sie erst fragen, wenn es zum Gespräch kommt. Die junge Frau macht sich keine Illusionen. Sie weiß, dass sie Ausdauer braucht.
Die Resonanz auf ihre E‑Mail-Aktion: Nur wenige Firmen antworten; manche schicken ihren Firmenprospekte mit dem Hinweis, später könne sie sich noch einmal melden. Doch es werden auch ein paar Termine angeboten. Und schließlich ist bei einem der Besuche sogar der Geschäftsführer für sie zu sprechen. Der fragt, ob sie denn schon einmal gejobbt habe. Ja, in den letzten großen Ferien. Aber es sei doch zurzeit gar nicht so einfach, einen Ferienjob zu finden oder habe sie Beziehungen gehabt. Nein, ohne Beziehungen.
Der Chef will es genauer wissen und erfährt, dass die junge Frau ideenreich und mit System vorgegangen ist. Am Ende des Gesprächs bietet er ihr von sich aus eine Lehrstelle an.
Seinen Vorstellungen näher kommen
Wer Initiative ergreift, muss Ziele haben. Nicht einfach drauflos agieren, das wäre Aktionismus, der zu nichts führt.
Es gibt eine Fülle von Zielen. Nachdem man sich seine persönlichen Ziele, so wie sie einem einfallen und ohne jegliche kritische Beurteilung, aufgeschrieben hat, ist es nützlich, sie in eine der beiden folgenden Kategorien einzuordnen:
- Ziele des persönlichen Verhaltens und
- Ziele der Lebensgestaltung.
Verhaltensziele werden langfristig festgelegt und in ständiger Übung verfolgt. Man wird sie nie vollständig erreichen, sondern nur annäherungsweise mit dem Bestreben „immer besser“.
Beispiele für Verhaltensziele:
- gegenüber Menschen und Situationen aufgeschlossen und neugierig sein: aufmerksam, freundlich und wohlwollend;
- Neuem gegenüber offen sein: zuhören, hinschauen, Fragen stellen;
- Konflikte bewältigen, nicht vor ihnen davonlaufen: selbstkritisch, argumentativ und bereit zu Kompromissen;
- Sachprobleme anpacken und nicht vor sich herschieben: sich nicht von seiner Lust und seinen Launen bestimmen lassen;
- seinen Bildungshorizont ständig erweitern: immer mehr wissen wollen, es genau wissen wollen, Sachverhalte in Zusammenhänge einordnen;
- wann immer es möglich ist, neue Erfahrungen sammeln: mutig sein, etwas riskieren, ins kalte Wasser springen;
- seine intellektuellen Fähigkeiten erhalten und ausbauen: lernfähig bleiben, selbständig lernen können;
- Unzulänglichkeiten ertragen, ohne sich mit ihnen abzufinden: weder wütend werden noch in Gleichgültigkeit verfallen;
- eine positive und chancenorientierte Lebenseinstellung: immer bedenken, dass alles zwei Seiten hat.
Machen Sie sich ein Bild davon, wie Sie sein möchten! Suchen Sie ein Foto von sich mit dem Gesichtsausdruck, der diesem Bild nahe kommt. Wenn es keines gibt, machen Sie eins mit dem Selbstauslöser. Und dann beschreiben Sie, warum dieses Bild Ihren Wunschvorstellungen nahe kommt. Hängen Sie das Foto in Ihrem Zimmer auf!
Was schätzen Sie an anderen Menschen? Haben Sie Vorbilder? Lesen Sie Biografien und machen Sie sich das Verhalten und die Charaktere der Hauptfiguren bewusst. Schreiben Sie es auf!
Sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten
Gestaltungsziele beziehen sich im Gegensatz zu den Verhaltenszielen nicht auf das WIE des Handelns, sondern auf das WAS. Sie haben unterschiedliche Zeitmaße; sie können langfristig, aber auch nur kurzfristig gelten. Sie haben mit der Lebensplanung und den Lebensphasen zu tun.
Gestaltungsziele sind beispielsweise:
- seinen Lebensraum bestimmen und sich einrichten,
- sein soziales Netzwerk knüpfen und pflegen,
- sein Geld verdienen und damit auskommen,
- für eine gesunde Ernährung sorgen,
- seine beruflichen Fähigkeiten aktuell halten,
- seinen Wertvorstellungen Ausdruck geben,
- sich körperlich und geistig fit halten.
Die Vielzahl der Ziele zwingt zu Prioritäten. Man kann nicht alles gleichzeitig verfolgen. Also muss man nach Dringlichkeit und Folgerichtigkeit vorgehen.
Initiative ist kein Selbstzweck, es soll vielmehr etwas erreicht werden. Seine Ziele muss man professionell angehen und nicht dem Irrtum verfallen, als Dilettant hätte man auch eine Chance. Dilettanten haben keine Chance. Deshalb: Sich Professionalität zu eigen machen! Das heißt, die notwendigen Methoden beherrschen und gründlich sein.
Initiative in konkretes Handeln übergehen lassen! Sonst können die Vorhaben wie Seifenblasen platzen. Konkretes Handeln heißt: Analyse, Konzept, Plan, Projekt, Aktion. Das alles ist methodisch sicher in Angriff zu nehmen und durchzuführen – sonst landen die schönsten Initiativen samt tollen Ideen in der Schublade.
Vorausschauend initiativ werden!
Anlässe und Anstöße zur Initiative kommen häufig von außen. Und leider sind es oft schlechte Nachrichten oder Ereignisse: Wir geraten in eine Konfrontation; man spielt uns übel mit; wir sind einer Ungerechtigkeit ausgesetzt; man stellt uns eine Falle; wir haben uns getäuscht; man stößt uns vor den Kopf und anderes mehr.
Ein Frühwarnsystem kann helfen, vorausschauend initiativ zu werden. Es versetzt in die Lage, aus eigenem Antrieb aktiv zu werden, bevor von außen der zwingende Anstoß kommt.
Es gibt ein Arbeitsinstrument, das für die Entwicklung rechtzeitig initiativen Verhaltens bestens geeignet ist: Ihr zum Organizer ausgebautes Kalendarium. Im Rahmen der von Ihnen festgelegten Zeitspannen dient Ihr Organizer dazu:
- Ihre Verhaltens- und Gestaltungsziele übersichtlich zu halten,
- das Programm zur Verbesserung des Verhaltens und die Projekte der Lebensgestaltung präsent zu haben,
- das Frühwarnsystem für den Handlungsbedarf im Blick zu behalten.
Die im Organizer festgehaltenen Tätigkeiten und Ereignisse werden Tag für Tag in einer Kladde so aufgearbeitet, dass der Handlungsbedarf greifbar wird. Wie sind die Tagesereignisse abgelaufen und welche Gefühle haben Sie dabei beherrscht? Und dann:
- Was hat an Gesprächen und Vorgängen stattgefunden?
- Von wem ging die Initiative aus?
- Welche fehlenden Informationen und welche Missverständnisse kamen zutage?
- Welcher Handlungsbedarf besteht?
Die Aufarbeitung der Tagesereignisse mit der Fragestellung „Welcher Handlungsbedarf besteht?“ führt zu vorausschauendem Handeln. Wie im Straßenverkehr entwickelt man ein Gespür dafür, was andere Verkehrsteilnehmer tun werden – und stellt sich darauf ein. Oder wie beim Schachspielen: Im voraus überlegen, welche Züge man machen will, und abschätzen, wie der Spielpartner reagieren wird.
Wer sich Gedanken darüber macht, was vermutlich auf ihn zukommt, wie er trotz aller Rückschläge seine Ziele weiter verfolgen kann, der erhöht seine Chancen, vorwärts zu kommen. Vorausschauendes Agieren lässt einen die Initiative behalten. Es sollte zur Gewohnheit werden!
Was uns die Fähigkeit zur Initiative rauben kann
Ein solcher Initiativcheck, über ein paar Monate hinweg geführt, wirkt Wunder. Man kann dann durchaus eine Weile aussetzen, aber spätestens wenn man merkt, dass man in Passivität zurückfällt, muss man den Check wieder durchführen.
Denn es lauern Gefahren. Der Überblick geht verloren. Wir wissen nicht mehr, auf welchen Feldern wir wem gegenüber initiativ werden müssen. Wir verpassen den richtigen Zeitpunkt. Notwendige Informationen fehlen, wichtige Gespräche finden nicht statt, Prioritäten werden falsch gesetzt.
Unter Stress verlieren wir schon mal den Kopf, werden hektisch. Dann geraten die Verhaltensziele schnell aus dem Blick, wir schlaffen ab, fallen zurück. Die Folge: Kaum noch Initiative, nur noch von außen gehetzt. Unsere Initiative stirbt. Dem gilt es entgegen zu wirken:
Feind aller Initiative ist das Aufschieben. Deshalb alles, was geht, sofort erledigen! Das muss zur Gewohnheit werden!
Nicht von anderen Initiative erwarten, sondern – wann immer es geht – selbst aktiv werden!
Beispiele für Gefahren, die unsere Fähigkeit zur Initiative ersticken:
Medien wie Fernsehen und Radio lassen uns zu passiven Reizempfängern werden. Gegenmittel: Das Gesehene und Gehörte nacherzählen, interpretieren und zum Schluss beurteilen.
Im Internet klicken wir uns ziellos von Seite zu Seite, fallen auf jeden attraktiv erscheinenden Link herein. Gegenmittel: Vorher schriftlich festlegen, was man im Netz tun will.
Mit Freunden schlagen wir unsere Zeit tot. Gegenmittel: Unternehmungen gemeinsam planen und durchführen.
Initiatives Verhalten führt zu Selbständigkeit
Wer zum jungen Erwachsenen heranwächst, muss sich notfalls einen Ruck geben, um auf die eigenen Füße zu kommen. Das Elternhaus verlassen und sich eine eigene Bleibe einrichten. Aber genau das bringen viele nicht fertig. Sie sind Weicheier, die Bequemlichkeit lieben, sich gefallen, wie sie sind; die glauben, die Schulabschlüsse und Ausbildungsgänge, die sie geschafft haben, seien ausreichend; sie meinen, ein angenehmes Leben bestehe darin, sich keinen Zwang anzutun, und schon gar nicht bestehe es darin, auch mal schmerzvoll mit sich umzugehen.
Sicherlich hängt es auch mit dem Temperament und der Energieausstattung eines Menschen zusammen, ob man eher zu den aktiven oder zu den passiven Zeitgenossen gehört, ob man aufmerksam und wach und handlungsbereit ist oder eher abwartend und in sich gekehrt. Doch als Kinder sind die meisten Menschen spontan, neugierig und kontaktfreudig. Es liegt an den Eltern, den Betreuern und Erzieherinnen, an den Lehrern, diese überlebenswichtigen Anlagen zu fördern und zu entwickeln.
Es ist grausam, ansehen zu müssen, wie vor allem zur Erziehung unfähige Eltern kindliche Initiative ins Leere laufen lassen und stattdessen mit ständigen Mahnungen, Vorhaltungen und Verboten die Aktivitäten ihrer Sprösslinge wegdrücken. Da bleibt dem jungen Erwachsenen nur, daran zu arbeiten, wieder fähig zur Initiative zu werden.
In Arbeitgebern Kunden sehen!
Da ein Arbeitsplatz heute die Voraussetzung zu einem auskömmlichen Leben ist, muss jeder seine Initiativen zu einem großen Teil darauf richten, tauglich für den Arbeitsmarkt zu sein. Was kann ich? Was muss ich lernen? Was muss ich verbessern? Wer braucht das, was ich an Können, Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten anzubieten habe? Wie finde ich meine „Kunden“?
In der Wirtschaft vollzieht sich ein unablässiger Leistungsaustausch: Geben und Nehmen. Da hat jeder, der etwas anzubieten hat, eine Chance, wenn es ihm gelingt, sich denen bekannt zu machen, die Chancen zu vergeben haben. Das sollte man nicht allein den Arbeitsvermittlern überlassen.
Ob wir das wollen oder nicht wollen: Jeder von uns gestaltet sein Leben über Märkte. Wer auf Märkten agieren und erfolgreich sein will, muss seinen Markt kennen: Wie ist er organisiert? Wo findet er statt? Wer sind die anderen Anbieter und wer die Nachfrager? Was wird geboten? Was wird verlangt? Wie viel wird bezahlt? Was ist aktuell? Was ist zeitlos?
Wenn Sie einen neuen Arbeitsplatz suchen, wenn Sie beruflich vorwärts kommen wollen, dann müssen Sie sich als Anbieter verstehen! Nicht als Nachfrager. Nur als Anbieter werden Sie darauf aus sein, ihr Angebot ständig zu verbessern. Nur als Anbieter vergleicht man sein Angebot mit dem der Konkurrenz, entwickelt man seine Stärken, gleicht man seine Schwächen aus, informiert man sich über die Nachfrager, ihre Wünsche, ihre Vorlieben, versucht man Kontakt zu ihnen aufzubauen.
Ob als Ich-AG oder Selbst-GmbH: Sein eigener Unternehmer sein!
Wer sein Leben nicht als Lohnabhängiger oder als Sozialhilfeempfänger leben will, muss sich zum Unternehmer in eigener Sache machen. Die Arbeitgeber muss man als seine Kunden sehen. Von seinen Kunden verlangt man nichts, sondern denen bietet man etwas an. Dazu braucht man Selbstbewusstsein. Der selbständige Handwerker kann mit Minderwertigkeitskomplexen keine Kunden gewinnen, geschweige denn von seiner Arbeit überzeugen.
Das Selbstverständnis “Ich biete konkurrenzfähige Leistungen an” macht Menschen arbeitsmarktfähig. Daraus ergeben sich alle weiteren Einstellungen und Fähigkeiten, die zur selbständigen Meisterung des Lebens von Bedeutung sind. Auch entwickelt sich daraus ein Selbstbewusstsein, das um seinen eigenen Wert weiß.
Der Mitarbeiter, der sich sein Leistungsbewusstsein rauben lässt oder der so etwas erst gar nicht entwickelt hat, darf sich nicht wundern, wenn er als abhängig Beschäftigter, als Arbeitnehmer statt als Arbeitanbieter abgestempelt ist. Dann hat seine Arbeit, die er als unselbständiger Mitarbeiter für seinen Chef tut, den Geruch der Unselbständigkeit – er ist ausführendes Organ. Wer sich dagegen als Anbieter von Arbeit sieht und seinen Chef als Nachfrager von Arbeit, der kommt aus dem Abhängigkeitsgefühl der Sklavenzeit heraus, der wird zu seinem eigenen Unternehmer.