Kapitel 8
Die Basis aller Leistungsfähigkeit:
Konzentration und Gedächtnis
In mehr und mehr Berufen wird die Konzentrationsfähigkeit zu einem entscheidenden Leistungskriterium. Aber auch im Privatleben ist zunehmend höchste Aufmerksamkeit notwendig, um in der Komplexität des Lebensumfelds nicht unterzugehen.
Nur so können die Risiken beherrscht werden und lassen sich Ziele erreichen. Das Erinnerungsvermögen muss hinzukommen. Nicht um als Gedächtnis-Akrobat auftreten zu können, sondern um handlungsfähig zu sein.
Welche Auswirkungen mangelnde Konzentration hat, wird besonders in vielen Sportarten an den unmittelbaren Folgen deutlich. Die kleinste Unachtsamkeit – und schon sind die über Sieg und Niederlage entscheidenden Sekundenbruchteile verloren, ist die Torchance vertan, bringt ein Sturz das Aus.
Steigern Sie Ihre Aufmerksamkeit!
Gedanken, Sinne, Gefühle, Bewegungen total auf etwas ausrichten und die ganze übrige Welt um sich herum vergessen – wer das nicht kann, dem werden mehr Fehler unterlaufen als demjenigen, der das schafft. Grund genug, seine Konzentration und sein Gedächtnis zu verbessern.
Lesen Sie den folgenden Text laut, richtig laut, so als säße vor Ihnen Publikum:
„Die wichtigste Fähigkeit, um aus dem Wissen, den Einsichten und Erfahrungen anderer Menschen für sich Nutzen zu ziehen, ist das Lesen! Die Weisheit der Menschheit schlägt sich in Schriften nieder. Wir müssen nicht alles am eigenen Leib erfahren, das Rad neu erfinden, die Fehler der Altvorderen von Generation zu Generation wiederholen, sondern wir können durch Lesen uns ‚klug machen‘, Anregungen und Rat holen, Lehren ziehen und Vergleiche anstellen.“
Kein Versprecher? In einem Schwung durchgelesen? Ohne zu stottern? Ist Ihnen das laute Lesen so geglückt, als wären Sie Sprecher – sagen wir – bei der „Tagesschau“? Nein? Dann lesen Sie so lange laut, bis es ohne Fehler und in einem Fluss geklappt hat! Nehmen Sie einen Freund dazu, der das Ganze auf Tonträger aufnimmt, so dass Sie Ihre „Lesung“ anschließend selbstkritisch abhören können. Bitten Sie Ihren Freund um Feedback! Suchen Sie sich weitere Texte, mit denen Sie lautes Vorlesen üben. Steigern Sie die Länge der Texte.
Aktives Lesen
Nehmen Sie sich einen Aufsatz oder Zeitungsartikel von etwa zwei Seiten DINA4 und geschrieben mit der Schrifttype Georgia in der Größe 14 pt zur Hand, dessen Inhalt Sie interessiert. Und außerdem einen Bleistift. Arbeiten Sie diesen Artikel/Aufsatz folgendermaßen durch:
Die Substanz des Textes mit einem Bleistift durch Unterstreichen oder Umkreisen markieren, am Rand durch einen oder mehrere Striche oder Ausrufezeichen die Bedeutung der markierten Aussagen gewichten. Seien Sie dem Text gegenüber ‚respektlos‘: Gehen Sie mit dem Bleistift ‚rücksichtslos‘ dazwischen, egal wer der Autor ist!
Nehmen Sie einen Notizblock und schreiben Sie Ihre Anmerkungen, Fragen, Einsichten und Erfahrungen zu den Markierungen so auf, wie sie Ihnen in den Sinn kommen.
Während meiner Studienzeit habe ich damit begonnen, Gelesenes nach dem Markieren in einer Kurzfassung (Abstract) festzuhalten und danach alles hinzuzufügen, was mir dazu einfiel.
Dann habe ich mir notiert, welchen Fragen ich im Zusammenhang mit dem Thema weiter nachgehen, was ich als Schlussfolgerung im Kopf behalten und was ich gegebenenfalls unternehmen wollte.
Konzentration beim Lesen heißt: genau hinsehen!
Im folgenden Text, der das Vorgehen des Aktiven Lesens näher beschreibt, sind einige Worte falsch geschrieben und fehlen Satzzeichen oder sie stehen an der falschen Stelle. Finden Sie die Fehler heraus!
>Die Worte oder passagen an denen sich die Substanz des Textes festmacht kann man mehr oder weniger differenziert durch Markirungen kennzeichnen. Geht man weniger Differenziert vor, dann unterstreicht man nur die Worte und Textpasagen, die einem wichtig erscheinen Wer einen text ausführlich, aufarbeiten will der unterscheidet zwischen Sachaussagen und Meinungsäusserungen, zwischen Passagen, denen er aus eigener Einsicht und Erfarung zustimmt, und solchen, die ihm neu sind oder mit denen er nicht übereinstimmt, zwischen Passagen die Fragen und Zweifel aufwerfen, und solchen, die auf Anhieb überzeugen, zwischen Passagen, die ihn unmitelbar betreffen, und solchen, die ihm fern liegen, zwischen Passagen zu denen ihm sofort Beispiele einfallen, und solchen, die er in seinen Erfahrunghorizont nicht einordnen kann Entsprechend differenziert müssen die Markierungen ausfallen: Unterstreichungen mit Farbstiften, Einrahmun-gen als Ellipen und Rechtecke, Zahlencodes – wie auch immer, es muss eindeutig und konsequent sein. An den Rand, werden alle Assoziationen geschrieben, die Einem in den Sinn kommen Das sind Erlebnisse, ergänzende Fakten, Beispiele, eigene Meinung, Hinweise, Fragen, weiter-führende Stichworte, Namen und und und<
Textstellen, bei denen ein Satzzeichen fehlt oder falsch gesetzt ist, fallen einem auf, wenn man sich die Satzkonstruktion klar macht: Subjekt, Prädikat, Objekt, Hauptsatz, Nebensatz, Aufzählungen etc. Sowohl die Satzzeichen als auch die Groß- und Kleinschreibung dienen dem besseren Verständnis eines Textes. Das Verstehen von Texten wie das Schreiben von Texten verlangen den korrekten Gebrauch der Sprache. Hat man Zweifel, sollte man konsequent immer im Duden oder anderswo nachsehen.
Es gibt eine Fülle von Konzentrationsübungen. Anleitungen dazu gibt es in Buchform und im Internet. Jeder sollte sich sein eigenes „Fitnessprogramm“ zusammenstellen. Es ist sinnvoll, bei der Auswahl der Übungen darauf zu achten, vom Inhalt her sich nützliche Aufgaben auszusuchen. Dann hat man doppelten Gewinn: Verbesserung der Aufmerksamkeit und Vermehrung seines Wissens.
Der Fundus unseres Wissens und unserer Erfahrungen
Wir lernen nicht nur durch Lesen und Schreiben. Aber wer nur durch das gesprochene Wort lernt oder gar sich vorwiegend auf eigenes Erleben, aufs Beobachten und Nachahmen beschränkt, kann nicht in die komplexen Gesellschaften unserer Zeit hineinwachsen. Unzulängliches Lesen und Schreiben drängt Menschen ab in die Grenzbereiche unserer Gesellschaft. Wer als junger Erwachsener feststellt, dass er Sprachdefizite hat, sollte seine Lücken schließen. Sonst gerät er schnell ins gesellschaftliche Abseits.
Texte sind Transportmittel für Informationen und Meinungen. Wir lesen Zeitungen, sehen und hören Fernsehnachrichten, um Neuigkeiten zu erfahren, um zu wissen, was in der Welt los ist, um die Einstellung anderer zu den Ereignissen und Vorgängen des Zeitgeschehens mitzubekommen.
Da wir bestimmtes Vorwissen und auch eine eigene Meinung haben, sortieren wir das, was wir an Inhalten aufnehmen, in die schon bei uns vorhandenen Wissens- und Meinungsbereiche ein. Erfasst wird dabei vornehmlich das, was uns interessiert und unseren Vorurteilen entspricht. Unser Interesse und unsere Meinung steuern unsere Aufmerksamkeit, unsere Konzentration und unser Gedächtnis.
Ein gutes Gedächtnis braucht wache Sinne. Neben dem ständigen Training der Konzentration muss daher mit gleicher Intensität das Gedächtnis fit gehalten werden. Das Gedächtnis hält die Werkstücke des Wissens und der Erfahrung bereit, die man bei der konzentrierten Bewältigung seiner aktuellen Aufgaben braucht.
Die meisten Menschen haben ein an Bildern orientiertes Gedächtnis. Man unterscheidet das Kurzzeitgedächtnis vom Langzeitgedächtnis. Die Gehirnforschung hat in den letzten Jahren viel Licht in die Voraussetzungen und Funktionsweise der organischen Ausstattung für das menschliche Denken gebracht. Das hilft, die gegebenen Potentiale besser zu erkennen und in der Methodik angepasst zu nutzen.
Unser Gedächtnis macht uns handlungsfähig
Zu welch außergewöhnlichen Wahrnehmungsleistungen die einzelnen Sinne entwickelt werden können, zeigen Menschen, bei denen der eine oder andere Sinn beeinträchtigt ist oder ausfällt, so dass er durch andere Sinne kompensiert werden muss. Gute Wahrnehmungsfähigkeiten korrespondieren mit einem guten Gedächtnis. Unsere Wahrnehmungen werden im Gehirn verarbeitet; abgespeichert im Gedächtnis, werden sie für uns Orientierungshorizont und zur Voraussetzung von Aktionen.
Was an Kenntnissen und Fertigkeiten nicht durch ständigen Einsatz unmittelbar verfügbar ist, muss für den erforderlichen Fall, wenn nicht abrufbereit, so doch schnell aufzufrischen oder zu erschließen sein. Neue Aufgaben müssen aufgrund des vorhandenen Wissens- und Erfahrungs-Fundus von einem möglichst hohen Niveau aus angegangen werden können. Dieses hohe Niveau zu schaffen und zu erhalten, gelingt nur durch ständiges Trainieren.
Beispiel Fremdsprachen. Der Muttersprache verwandte Sprachen sind relativ leicht zu erlernen, weil vieles ähnlich ist. Je besser die Muttersprache beherrscht wird, umso schneller findet man in die andere Sprache. Schwieriger ist es, wenn die Fremdsprache kaum Verwandtschaft mit der Muttersprache hat. Aber selbst beim Erlernen einer solchen Sprache fängt niemand bei Null an. Denn es gibt in jedem Sprachraum dieselben Grundphänomene menschlicher Existenz wie etwa Essen und Trinken. Je besser einer sich die zivilisatorischen und kulturellen Gegebenheiten seines eigenen Sprachraums erschlossen hat, um so eher findet er sich auch in einem fremden Sprachraum zurecht.
Was auch immer man anstellt, um seinen Handlungsspielraum zu entwickeln und auszuweiten – zunächst kommt es darauf an, Grundfähigkeiten zu erwerben und sie präsent zu halten. Für Künstler und Leistungssportler ist es selbstverständlich, dass sie täglich Pflichtübungen zu absolvieren haben. Das gilt im Grunde für alle Menschen. Erst die Pflicht, dann die Kür!
Können Sie sich auf Ihr Gedächtnis verlassen?
Eine kleine Geschichte: „Winterromantik. Wohlige Wärme verströmt die Glut des Feuers. Am Eingang der Höhle glitzern Eiszapfen in der Sonne. In der heimeligen Bettstatt lösen sich zwei Liebende voneinander. Das Sonnenlicht lockt ins Freie. Raus aus den Daunen, hinaus ins gleißende Licht. Sie recken ihre Arme der Sonne entgegen. Werfen sich in den Schnee, der wegstaubt. Auf der Biberburg drüben nehmen sie ein Sonnenbad. Dann stapfen sie durch den lichten Wald, besuchen den Bär und necken den Elch. Zurück in ihrer Winterhöhle entfachen sie erneut das wärmende Feuer. Den Eingang verschließen sie mit Eisblöcken. Gelbrot schimmert der Hügel aus Eis und Schnee in der Nacht. Leiser Gesang kündet von Liebe und Glück. Schneefall setzt ein und überdeckt die Spuren des Tages. Ein einsamer Wolf wittert das Winterglück und heult in die Nacht.“
Decken Sie den Text ab oder schieben Sie ihn zur Seite. Schreiben Sie spontan alle Worte auf, die Sie behalten haben. Bringen Sie die Worte in die Reihenfolge der Geschichte.
- Welche Gefühle weckt die Geschichte in Ihnen?
- Haben Sie den Text vor Augen?
- Welche Worte verbinden sich mit welchen Bildern?
- Schreiben Sie die Geschichte als Nacherzählung auf!
- Vergleichen Sie Ihre Nacherzählung mit dem Originaltext.
Kopieren Sie nun den Text und gestalten Sie ihn in Ihrem Computer. Wählen Sie dazu eine zur Geschichte passende Schrifttype und eine Schriftgröße, die Ihnen zusagt. Weitere Gestaltungsmittel: Farbgebung der Schrift, Absätze, Hervorhebungen etc.
Wenn Sie den Text gestalterisch aufbereitet haben – lernen Sie ihn auswendig! Satz für Satz. Vor jedem neuen Satz die schon gelernten Sätze wiederholen. Schwingen Sie in den Gefühlen, die von der Geschichte in Ihnen ausgelöst wurden. Schwelgen Sie in den Bildern, die Sie zu den Worten sehen.
Markieren Sie die Worte, die sich nicht so leicht einprägen. Ziehen Sie das mindestens bis zum Wort „wegstaubt“ durch. Leicht, locker und ausdauernd. Na? Geht doch!
Wie Sie den Schwierigkeitsgrad steigern
Werbetexte werden mit allen Mitteln grafischer Gestaltung aufbereitet, damit wir sie ohne Anstrengung behalten. Warum sollte man nicht mit den gleichen Mitteln sein Gedächtnis trainieren? So kann das Auswendiglernen zum Spaß werden. Suchen Sie sich Texte, die Sie aufbereiten und dann auswendig lernen wollen. Neben längeren Texten, die sie in Ihrem Gedächtnis gerne griffbereit haben möchten, legen Sie sich auch eine Sammlung von Sprichwörtern und Zitaten an. Machen Sie das zum wöchentlichen Trainingsprogramm für Ihr Gedächtnis.
Von Zeit zu Zeit muss man Gelerntes auch wiederholen. Sonst verblasst es. Dazu ist heraus zu finden, wie lange ein gelernter Text im Gedächtnis präsent bleibt. Dann weiß man, wann aufzupolieren ist.
Es gibt unterschiedliche Schwierigkeitsgrade beim Auswendiglernen. Gedichte mit Versmaß und Reimen aus einem Buch durch lautes passagenweises und wiederholendes Lesen sich “reinziehen”, das ist die einfachste Übung. Etwas schwieriger ist es ohne lautes Lesen. Schwierig wird es, wenn das Gedicht nicht über eine schriftliche Vorlage aufgenommen wird, sondern von einem Tonträger. Auch hier kann man laut nachsprechen oder nur in Gedanken.
Weitere, den Schwierigkeitsgrad steigernde Formen der Übung “Auswendiglernen” sind: Prosatexte – kein Versmaß, kein Reim – still, nur mit den Augen lesend, sich aneignen; Liedtexte von einem Tonträger nur durch Hören; lange, komplizierte Hörbuchtexte. Sobald man den Text im Kopf hat, immer wieder ohne Buch oder Tonträger das Gelernte stumm vor sich hin “abspulen”. Wenn er richtig sitzt, ihn mit Gestik und Mimik sowie rhetorischer Sprachgestaltung wie ein Schauspieler laut sprechen. Dazu eine Situation gestalten: vor dem Spiegel, sich selbst erlebend, oder vor Freunden.
Befassen Sie sich mit Bildmedien!
Aber nicht nur die Sprache hat Bedeutung für unsere Kommunikation, sondern heute mehr denn je die Bildmedien, vielfach mit Sprache kombiniert. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es. Bilder haben den Anschein des unmittelbaren Realitätsbezugs für sich, gelten als authentisch – und sind doch wie Worte manipulierbar.
Es dient der Verbesserung der Konzentration und des Erinnerungsvermögens gleichermaßen wie dem besseren Verständnis der Inhalte von audiovisuellen Medien wie Filmen und Fernsehsendungen, wenn man sein Training auch auf solche Transportmittel von Informationen und Meinungen ausdehnt. Beginnen Sie mit der Analyse von Videos, die Sie aus dem Internet herunterladen.
- Welche Bildmotive werden verwendet?
- Wie werden die Motive ins Bild gesetzt? Ausschnitt? Blickwinkel? Bewegungen des Motivs? Kamerabewegungen?
- Wie ist die Bildfolge zusammengestellt, geschnitten?
- Wie werden die Bilder kommentiert?
- Zu welchen Bildern werden keine Informationen gegeben?
- Welche Geräusche sind zu hören? Welche Musik ist unterlegt? Welche Stimmungen werden durch die Musik und die Geräusche erzeugt?
Und ganz wichtig: Was bekommt man nicht zu sehen und zu hören? Auf den Inhalt bezogen findet man Weggelassenes nur heraus, wenn man sich im Thema auskennt. Aber wann ist das schon der Fall? Also muss man die Stellen erkennen, die den Verdacht wecken, es könnte etwas Wichtiges fehlen: aufgeworfene aber nur teilweise beantwortete Fragen; Hinweise, die nicht weiter verfolgt werden; Fakten, die Zweifel wecken; Behauptungen, die nicht belegt werden; Widersprüche in der Argumentation; einseitige Argumentation.
Auch aus der Gestaltung ergeben sich Ansatzpunkte: Passen Bild und Ton zusammen? Ist die geäußerte Meinung als solche zu erkennen oder wird sie im Stil der Darstellung von Fakten mitgeteilt? Welche Gefühle werden absichtsvoll mit den Bildern und mit der unterlegten Musik ausgelöst?
An die Analyse sollte sich eine Auswertung anschließen, in der neben anderem die Glaubwürdigkeit überprüft wird, offene Fragen gesammelt werden und die Schlüssigkeit der Bildbelege festgestellt wird.
Das gezielte Training von Konzentration und Gedächtnis mag anfangs ungewohnt sein, vielleicht auch einige Überwindung kosten. Das ist nicht anders wie bei Klavieretüden oder den Aufwärm- und Dehnungsübungen im Sport. Lässt man sich nicht beirren, so wird man nach einiger Zeit den Zugewinn an geistiger Fitness feststellen – und dann macht es sogar richtig Spaß.