Kapitel 7
Wie die Freuden eines Marathonlaufs: Selbstverbesserung
Ohne Anstrengung einfach alles können. In jeder Situation. Wie ein junger Gott, genial und schön – so würden wir gerne auf der Bühne unseres Lebens agieren. Spontan tun, wonach einem zumute ist. Und nicht befürchten müssen, dass ein dickes Ende hinterher kommt. Essen und trinken nach Herzenslust. Zusammenleben mit wem man gerade möchte. Arbeiten ohne Zwänge.
Aber von Kindesbeinen an erfahren wir es anders: Dauernd ist etwas falsch. Ständig werden wir ermahnt, vor etwas aufzupassen, uns in acht zu nehmen. Unablässig belehrt man uns. Nicht was man möchte, muss man tun, sondern man muss das tun, was die Erwachsenen für richtig halten.
Wenn wir uns dann im Revier unserer Kindheit eingerichtet haben, kommt der Schock der Einschulung: Disziplin und Lernzwang. Die Schule packt uns, bestimmt unseren Tag. Auch wenn die Anpassung gelingt und wir Leistung bringen, so haben wir doch das Gefühl, dass wir fremdbestimmt leben – und wir sehnen uns nach dem Tag des Erwachsenseins, von dem an wir eigenmächtig tun und lassen können, was wir wollen.
Freiheitsberaubung und Versagensängste
Meine Zeit auf dem Gymnasium gehört zu den Leidenszeiten meines Lebens. Auch wenn ich seit langem weiß, dass man mir dort eine durchaus wertvolle Lebensausrüstung vermittelt hat – die besonderen wie die allgemeinen Umstände meiner Schulzeit haben Ängste in mir verursacht und verfestigt, von denen ich mich bis heute nicht endgültig befreien konnte.
Der Unterricht wurde immer intensiver und behinderte mich mehr und mehr in dem, was ich für das „eigentliche Leben“ hielt. Schließlich lebte ich in zwei Welten: der Schulwelt, in der ich ständig von Versagensängsten geplagt wurde, und in der Welt meiner selbstbestimmten Aktivitäten wie Sport, Reisen, Geld verdienen.
Eine wichtige Überzeugung leitete mich: Alles lässt sich erreichen, wenn man es richtig anstellt. Heute schränke ich ein: Fast alles. Um in der Schule nicht sitzen zu bleiben, war neben einem Minimum an Lernstoff-Bewältigung die richtige Einschätzung des Lehrerverhaltens erforderlich.
Um befriedigend Tennis zu spielen, Motorrad statt Fahrrad zu fahren, ein Mädchen für sich zu gewinnen, Geld in der Tasche zu haben und anderes mehr – dazu musste man überlegt und systematisch vorgehen. Beim Schachspielen und beim Züchten von Skalaren hatte ich die Erfahrung gemacht: Die richtigen Züge und Maßnahmen führen Schritt für Schritt zum gewünschten Erfolg.
Eine weitere Erfahrung habe ich während meines Studiums und in den ersten Berufsjahren gemacht. Eine mich traurig stimmende Erfahrung: Die Hoffnung, auf einen lebenserfahrenen Menschen zu treffen, der mir Vorbild und Lehrmeister hätte sein können, wurde nicht erfüllt. Weder habe ich einen Professor gefunden noch einen Chef gehabt, die mich individuell nach vorne gebracht hätten. Die einen wollten prüfbare Leistung und die anderen verwertbare Leistung. Um mich als Person hat sich niemand gekümmert. So war ich gezwungen, allein meinen Weg zu suchen.
Unsere Gedankenwelt prägt uns
Auf unserem Lebensweg kommen wir an Punkte, wo andere schon vor uns waren. Dort kann man so etwas wie Täfelchen finden, auf denen beispielsweise steht:
- Ohne Schweiß kein Preis!
- Hochmut kommt vor dem Fall!
- Wer rastet, der rostet!
- Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!
- Wie man sich bettet, so liegt man!
- Kein Meister fällt vom Himmel!
Immer wieder wünschen wir uns, aus einem Gefühl genialer Veranlagung heraus handeln zu können – locker, leicht und allseits bewundert. Aber dann erfahren wir den Frust, durch eigene Fehler zurückgeworfen zu werden. Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit schmerzt. Manche können sich die eigenen Fehler nicht eingestehen und machen die Bösartigkeit der Menschen sowie widrige Umstände für ihre Misserfolge verantwortlich; sie glauben, ein Lottogewinn, ein Traumjob oder ein bestimmtes Gesellschaftsmodell könne die Kluft schließen. Irrglaube.
Nur jeder für sich allein kann durch das, was er aus sich macht, ein zufriedener Mensch werden. „Unser Leben ist das, wozu unsere Gedanken es machen.“ (Mark Aurel)
Lernpaket Mensch
Kein Lebewesen wird so unfertig geboren wie der Mensch – aber er wird als Lernpaket geboren. Was aus ihm wird, ist in den frühen Jahren abhängig von der Umgebung, in die er hineingeboren wird, abhängig von den Bezugspersonen. Im Laufe der Jahre wächst er in seine Möglichkeiten hinein, wird er erwachsen und selbstverantwortlich.
Keiner wird faul, fett und gefräßig geboren. Kinder sind von Natur aus initiativ, neugierig, lernfähig, kreativ. Jeder macht schon als Kind Erfahrungen wie die, dass man seine Sinne gebrauchen muss, um die Wirklichkeit zu erfassen, dass man fragen muss, um Erklärungen zu bekommen, dass man probieren muss, um etwas herauszufinden, dass man sich anstrengen muss, um etwas zu erreichen.
Aber eine falsche oder kaum stattfindende Erziehung seitens der Eltern, die ihr Versagen dann oft mit materiellen Wohltaten zu kompensieren versuchen, eine Medienberieselung, die ein schrilles Reizklima schafft, und eine Politik, die unter dem hehren Anspruch des Sozialen die Übel dieser Welt aufzuheben verspricht – all das lässt viele junge Menschen die für sie lebenswichtigen Erfahrungen nicht genügend verinnerlichen.
Ein solches Umfeld – die Kehrseite mancher Karriere von Eltern – macht Kinder und Jugendliche unbeholfen, schränkt ihre Entfaltungsmöglichkeiten ein, hindert sie, erwachsen und lebenstüchtig zu werden. Wenn dennoch die abverlangten Schulabschlüsse geschafft werden, verfällt mancher der jungen Leute dem Irrtum, jetzt sei die Lernphase des Lebens abgeschlossen. Ein Hochgefühl: Nie mehr lernen müssen! Das macht es schwer, zu erkennen und zu akzeptieren, dass man weiter lernen muss und dass man das Lernen spätestens jetzt in die eigenen Hände nehmen sollte.
Auch als Erwachsener befindet man sich ständig in Lernsituationen; auch wenn man das nicht merkt, weil sie nicht schulmäßig arrangiert sind. Was wir aus diesen Situationen machen, ob wir ihnen gewachsen sind, ob wir Einsichten und Erfahrungen daraus gewinnen – das hängt einzig und allein von uns, von unserer Lern- und Lebenseinstellung ab.
Lernen als kindliche Lebensfreude
Kleinkinder sind ununterbrochen dabei, voller Neugier und Interesse ihr Umfeld zu erkunden. Zu dieser Grundeinstellung unserer ersten Jahre sollten wir versuchen zurückzufinden. Viele Situationen unseres täglichen Lebens lassen sich als bereichernde Lernsituationen verstehen:
- wir begegnen fremden Menschen,
- wir erfahren Neuigkeiten,
- wir stellen uns auf einen neuen Chef ein,
- wir wechseln den Arbeitsplatz,
- wir ziehen in eine andere Stadt,
- wir gehen auf Reisen,
- wir tauchen in ein ungewohntes Milieu,
- wir erleben fremde Bräuche und Sitten,
- wir erarbeiten uns ein neues Arbeitsgebiet,
- wir finden Gefallen an einem Hobby,
- wir lassen uns auf Unbekanntes ein.
Sonderbarerweise lassen wir all das nur ungern als Lernprozess zu. Herausforderungen sehen wir nicht so sehr als großartiges Lernangebot, sondern eher als willkommene Gelegenheit zu zeigen, was wir alles schon können. Es soll mühelos aussehen, wie wir unsere Aufgaben meistern. Wir haben ja schließlich eine beträchtliche Ausbildungszeit hinter uns, haben womöglich studiert, gar promoviert. Da hat man doch alles drauf!
Generell ist das, was man „drauf hat“, immer nur bruchstückhaft. Selbst bei erstklassigen Lernfähigkeiten, höchster Intelligenz und besten Charaktereigenschaften ist jede Art von Ausbildung Stückwerk.
Ab Eintritt ins Berufsleben nur noch on the job lernen wollen, heißt die Herausforderungen des Lebens leichtsinnig und eingebildet unterschätzen. Dieser Arroganz selbstgefälligen Erwachsenseins entgeht, wer sich wie ein Kind ganz selbstverständlich unablässig weiterentwickelt und verbessert. Das heißt: als Erwachsener anerkennen, dass man nicht vollkommen ist, aber fähig, ständig hinzuzulernen.
Sportler zeigen, wie es geht
Niemand beteiligt sich an einem Marathonlauf, der sich auf eine solche Herausforderung nicht vorbereitet hat. Keiner käme auf die Idee, weil er zuhause regelmäßig joggt und jetzt gerade in New York ist, sich mal eben unter die Läufer zu mischen. Aber im täglichen Leben, wo es bisweilen um viel mehr geht als um die Glückshormone eines bewältigten Marathonlaufs – im Beruf oder in der Lebensführung –, da glaubt man, aus dem Stand heraus handeln zu können.
Noch ein Beispiel aus dem Sport: Keiner käme auf die Idee, in der Leichtathletik an einem Weitsprungwettbewerb teilzunehmen, ohne vorher mit Eifer und System seine Anlauf- und Sprungtechnik entwickelt sowie sich körperlich fit gemacht zu haben. Aber im täglichen Leben soll alles ohne solche Mühe gehen. Arbeitsagentur vermittle mich! Spitzensportler sind Perfektionisten, die über Jahre unbeirrt sich ständig weiter verbessern.
Selbstverbesserung heißt, sein Leben als ständige Chance verstehen; heißt, bewusst und systematisch vorgehen. Bewusst und systematisch heißt: ganz selbstverständlich und in kindlicher Unbekümmertheit Mittel und Methoden des Lernens benutzen. Selbstverbesserung lässt einen immer einsichtiger und ausgeglichener leben; man leidet nicht darunter, sich dauernd etwas aneignen zu müssen, weil man etwas noch nicht weiß oder kann.
Stattdessen genießt man die Freuden seines unentwegten Zuwachses an Erkenntnissen und an Handlungsfähigkeit, die einen zu immer neuen Ufern führen. Das ist das Gegenteil der eitlen und selbstgefälligen Prahlerei derer, die anderen immerfort vorführen, was sie alles können und haben.
Selbstverbesserung als Lebenseinstellung
Selbstverbesserung als Lebenseinstellung entkrampft. Ich muss nicht sein, der ich nicht bin. Ich brauche nicht die Schau des klugen Kerlchens, des cleveren Typs, des Karrieremachers, des Tausendsassas, des reichen Mannes. Ich habe mich gefunden, bin ganz bei mir, ruhe in mir, weiß um meine Fähigkeiten, bin ausgeglichen – und bescheiden.
Wer sich in seinem Wissen ständig verbessert, der sieht recht bald, dass sein Wissen immer nur bruchstückhaft ist. „Je mehr ich weiß, um so mehr weiß ich, dass ich nur sehr wenig weiß“ – das ist eine alte Menschheitserfahrung.
Das Leben reflektierend und vorausschauend gestalten – das ist die Einstellung, mit der wir auf unserem Pilgerweg voranschreiten. Der Einwand, dann könne man ja nicht mehr spontan sein, ist irrig. Wer gerne spontan reagiert, lässt sich von anderen vorgeben, worauf er reagiert; sein „spontan“ ist schon fremdbestimmt. Dann fällt man auch auf Betrüger herein.
Spontan richtig agieren, das ist durchaus erstrebenswert. Dazu aber braucht man sicheren Boden unter den Füßen; den schafft man sich mit mehr Wissen und größerer Handlungsfreiheit. Dann kann man spontan variieren oder Neues kreieren, dann erlebt man mit sich geniale Augenblicke.
Wer sich selbst selbstverbessernd an die Hand nimmt, braucht sich zu nichts zwingen und muss keinen Kraftakt vollbringen. Auch ist es keine Sache guter Vorsätze am Silvesterabend. Es ist einfach das tägliche Tun aus einer chancenorientierten Lebenseinstellung heraus. Alles ist verbesserungsfähig. Unternehmer wissen aufgrund des Wettbewerbs, in dem sie sich behaupten müssen: Das Bessere ist die Chance des Guten.
Selbstverbesserung bewahrt nicht vor Misserfolgen und Rückschlägen, aber die werden nicht schicksalsergeben hingenommen, sondern als Lernchance wahrgenommen.
In dem Auf und Ab der Höhenflüge und Abstürze steckt dann eine langfristige Tendenz: immer mehr Glücksempfinden durch tiefere Einsichten, Erkennen der Zusammenhänge, durch das Wissen um die Ursachen, durch das Zunehmen der persönlichen Fähigkeiten, situations-gerechtes Handeln, wachsende soziale Kompetenz – kurz: innere Freude über die sich ausweitende und vertiefende Gestaltung des Lebens; man spricht auch von Selbstverwirklichung. Man findet und entwickelt das, was in einem steckt.
Müheloser, fliegender Start
Kontinuierliche Selbstverbesserung braucht man weder nach einem bestimmten Programm noch bei Null anzufangen. Man fängt einfach an, fliegender Start. Entsprechend der neuen Lebenseinstellung entwickelt sich ganz von allein ein neuer Fahrstil und daraus ergibt sich alles andere. Initiativ werden!
Selbstverbesserung fängt man da an, wo man gerade ist. Sie bezieht sich immer auf morgen. Bevor ich morgen weitermache, denke ich über das nach, was ich heute gemacht habe, wie ich es getan habe und was ich daraus für das nächste Mal lernen kann. In Abläufen denken: Was war? Wie war es? Verbesserungsmöglichkeiten? Verbesserungsmaßnahmen!
Ein Beispiel aus der Banalität des Alltags, wie sie in der Regel abläuft: Nach dem Einkaufen der Lebensmittel Kühlschrank auf, alles rein wo gerade Platz ist und Kühlschrank zu; vor dem nächsten Rausholen nachsehen oder gar suchen, wo die eingekauften Sachen denn geblieben sind. Diesen Vorgang kann man verbessern, indem man eine Ordnung im Kühlschrank schafft und beibehält; Ordnungskriterien sind die Gebrauchshäufigkeit, die Verpackungsart und die Verpackungsgröße. Man spart so Zeit und Strom, vor allem bei mehreren Kühlschrankbenutzern. Verbesserungschance erkannt und genutzt, kein Suchen mehr und stets wissen, was nachzukaufen ist.
Holen Sie sich Anregungen, trainieren Sie!
Es gibt eine Fülle von Anregungen, ständiges Verbessern zu seinem Lebensstil zu machen. Dazu braucht es Fitness im Kopf. Die schafft man sich durch:
- Aktives Lesen,
- Konzentrations- und Gedächtnistraining,
- Fragenkataloge erstellen,
- Tagebuch führen,
- Erlebnisberichte schreiben,
- Sprachübungen,
- Durchführungsprogramme entwickeln,
- Reisen detailliert vorbereiten.
All das kann man nicht gleichzeitig in seine Lebensweise einführen. Man fängt mit dem einen oder anderen an, macht ein Projekt daraus. Nach und nach kommt man vom Start weg und gleitet hinüber in einen fortwährenden Prozess. Die Erfolge des „immer besser“ sorgen ganz von allein für den Fortschritt und die Ausdehnung auf mehr und mehr Lebensbereiche.
Doch manch einer hat Hemmungen, einfach loszulegen: Was sollen die Leute denken? Mein Partner? Meine Kollegen? Wem es nicht gegeben ist, ungeniert vor Mitmenschen zu tun, was ihm nützt und was die anderen nicht beeinträchtigt, der beginnt mit Maßnahmen, die er in seiner Privatsphäre ausüben kann. Diese Sphäre muss sich schaffen, wer auf die eigenen Füße kommen will – ohne Pardon. Alles andere ist Leben unter Vormundschaft.
Die Zeiten mündelsicheren Überlebens sind vorbei. Wer glaubt, er könne die Umwälzungen unserer Zeit ohne Selbstverbesserung überstehen, bringt sich langsam aber sicher ins Hintertreffen. Wo in der Arbeitswelt früher die Arbeitsanweisungen detailliert vorgegeben wurden, wird heute selbständige Planung und Durchführung der gestellten Aufgaben verlangt.
Wo früher in strenger hierarchischer Zuordnung Arbeit verteilt, beaufsichtigt und kontrolliert wurde, werden heute Eigeninitiative und Selbstkontrolle erwartet. Wo früher jedem einzelnen Mitarbeiter sein Arbeitspensum von Fall zu Fall zugemessen wurde, werden heute Gruppen gebildet, die ihren Arbeitsauftrag selbständig zu lösen haben.
Selbstverbesserung ist der Schlüssel zur Entwicklung seiner Persönlichkeit. Machen Sie sich diese Lebensfreude. Es kann kein anderer.