Kapitel 23
Alles hat seine Zeit: Lebensphasen
Wir Menschen sind wandlungs- und anpassungsfähig und haben einen freien Willen. Aufgrund unserer Erbanlagen und entsprechend den Einflüssen unseres Umfelds in den ersten Lebensjahren entwickeln wir unsere Persönlichkeit. Jede Lebensphase schlägt sich in den folgenden nieder. Neu beginnen kann sein Leben niemand. Die größte Chance, in ein selbstbestimmtes Leben hineinzuwachsen, bietet sich denen, die in den frühen Jahren ihres Erwachsenseins bereit sind, an sich zu arbeiten.
Das Geschenk der Freiheit nutzen
Kein Lebewesen kommt so entwicklungsbedürftig zur Welt wie der Mensch. Die Erbanlagen und ihre Ausgestaltung, zunächst durch die Bezugspersonen der frühen Jahre und dann immer stärker durch einen selbst, verleihen jedem von uns Einmaligkeit.
Das Zeitkontingent seines Lebens kennt niemand. Es gibt die statistische Größe der Lebenserwartung. So lange es keinen Grund für eine andere Annahme gibt, geht jeder davon aus, dass er sich im Rahmen der Statistik bewegt. Ausgefüllt wird der Rahmen durch einen individuellen Lebenslauf.
Die Personalität des Menschen wird in den unterschiedlichen Lebensläufen deutlich. Auf den eigenen Lebenslauf möglichst viel Einfluss zu gewinnen, ist die Chance, die insbesondere den Menschen in den entwickelten Ländern gegeben ist. Sie nicht wahrzunehmen, ist das Ausschlagen des Geschenks der Freiheit.
Die Vorgaben der Kindheit und Jugend
In früheren Jahrhunderten wurde man in eine soziale Schicht hineingeboren. Und da blieb man bis ans Lebensende. Heute sind wir von den Vorgaben der Geburt weitgehend befreit. Weder Blut noch Standeszugehörigkeit bestimmen unsere Zukunft. Aber mehr denn je unsere Eltern!
Wie würden Sie Ihre Eltern beschreiben? Die Lebensvorstellungen und Verhaltensweisen von Vätern und Müttern sind in unserer Zeit sehr unterschiedlich. Bekommt ein Paar das erste Kind, so treten die Unterschiede meist schlagartig zutage.
Denn die Lebenssituation verändert sich einschneidend: Mobilität und Flexibilität sind eingeschränkt, die Verteilung der Aufgaben muss neu vorgenommen werden, nicht alle lieb gewonnenen Gewohnheiten lassen sich aufrecht erhalten, die Karriere-Erwartungen müssen eventuell revidiert werden. Wie gehen Mann und Frau mit diesen Veränderungen um? Wer fühlt sich benachteiligt? Worin sind sich beide einig? Wo sind die Differenzen?
In der Behandlung des Kindes werden die Auffassungen und Verhaltensgewohnheiten offenkundig:
- Meinungsverschiedenheiten bei der Einschätzung von Gefahren;
- unterschiedliche Reizschwellen;
- der eine in seinem Verhalten eher spontan, der andere überlegt;
- was SIE verbietet, erlaubt ER;
- der eine lässt nur wenig Freiraum, der andere lässt vieles durchgehen;
- der eine konsequent im Umgang, der andere mal so mal so.
Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Persönlichkeiten der Eltern ergeben, gab es immer. Aber heute schlagen sie unmittelbar durch, weil von Seiten der Gesellschaft kaum noch gleichgerichtete Vorgaben als Verhaltensmaximen gemacht werden.
Mütter und Väter müssen jeder für sich und beide gemeinsam entscheiden, bewusst oder unbewusst, in welcher Vorstellungswelt und welcher Wirklichkeit die Kinder erzogen werden. Bereits die Namensgebung für ein Kind spiegelt das wider. Sind Sie mit dem Namen, den Ihre Eltern Ihnen gegeben haben, zufrieden?
Hatten Sie das Glück guter Eltern?
Wie würden Sie Ihre Mutter und wie Ihren Vater beschreiben? Welches Vorbild haben die beiden Ihnen gegeben? Ergänzen Sie die folgenden Stichworte und schreiben Sie dann das Porträt Ihrer Eltern:
Ihre Mutter |
ruhig
egoistisch liebevoll harte Schale, weicher Kern ängstlich unausgeglichen vorsichtig schweigsam redselig streng nachsichtig konsequent verständnisvoll immer gut gelaunt Bauchmensch ordentlich Chaot Verstandesmensch Sponti auf Prestige bedacht voller Ideen Temperamentsbündel |
Ihr Vater
|
Fragen Sie sich nach dem Schreiben der Porträts, was Sie von den Personen übernommen haben, die bestimmend waren für Ihr Erwachsenwerden. Welche Handicaps aus Kindheit und Jugend haben Sie in Ihr Erwachsenenleben mitbekommen?
Kein Mensch wird erwachsen, ohne das Opfer von Erziehungsfehlern geworden zu sein. Viele dieser Fehler werden in bester Absicht begangen. Denn mancher Vater und manche Mutter sind mit ihren Erziehungsaufgaben trotz allen Bemühens überfordert.
Wie schon in Steinzeitgesellschaften herrscht bei uns dennoch die Auffassung vor, erziehen könne jeder, da er ja als Kind erlebt habe, wie das geht. Ein verhängnisvoller Irrtum, wie sich heute vor allem in Gesellschaften herausstellt, deren Familien aufgrund von Auflösungserscheinungen die Erziehungsaufgaben kaum noch wahrnehmen.
Für viele Eltern sind Beruf und Karriere mit Familie nur schwer zu vereinbaren. Sie haben zu wenig Zeit für ihre Kinder, wollen alles so durchrationalisieren, wie sie es vom Arbeitsplatz her gewohnt sind. Sie fühlen sich zuhause ruhebedürftig, würden gerne bei einem ihrer Hobbies entspannen, statt sich dem Kinderstress auszusetzen. Da man in einem Sozialstaat für sein materielles Auskommen einen Arbeitsplatz und keinen Familienverbund braucht, entscheiden sich viele junge Leute für Beruf und Partner, aber nicht für Kinder.
In der Pubertät beginnt die Außenorientierung. Was die gleichaltrigen Freunde und Freundinnen sagen und tun, bekommt größere Bedeutung gegenüber dem, was die Erziehungspersonen nahe legen. Jetzt wird ausprobiert, was die Welt so zu bieten hat, was hinter den Verboten steckt und womit man sich Geltung verschaffen kann.
Der Abnabelungsprozess vom Elternhaus beginnt. Wenn in dieser Phase Ihres Lebens sich das Verhältnis zu Ihren Eltern zu einer Beziehung vor allem des offenen Gesprächs gewandelt hat, wenn Sie zu ihnen Vertrauen hatten, Ihnen ihre Meinung zu Ihren Fragen und Problemen wichtig war – dann zählen Sie zu den Glücklichen, die gute Eltern haben oder hatten.
Nutzen Sie die Chancen, sich auf eigene Füße zu stellen!
Wer sich Klarheit darüber verschaffen will, wie er auf den Lebensweg gekommen ist, den er als Erwachsener geht, der sollte die Memoiren seiner Kindheit und Jugend schreiben. Dadurch bringen Sie an die Oberfläche Ihres Bewusstseins, was in Ihnen verschüttet sein könnte, was sich nicht entfalten konnte, was Sie vielleicht gefangen hält.
Holen Sie die Fotos und Filme hervor, schauen Sie sich an und empfinden Sie nach, was Sie mit Freude, mit Schrecken, mit Angst, mit Widerwillen, mit Stolz, mit Sicherheit, Geborgenheit, Liebe erfüllt hat. Erinnern Sie sich! Und schreiben Sie alles detailliert auf! Sie werden staunen, was da alles im Laufe des Erinnerns hoch kommt.
Und was alles eine Rolle spielt: Ob Sie in der Stadt oder auf dem Land groß wurden, ob Sie Einzelkind waren oder mit Geschwistern aufwuchsen, ob Sie sich selbständig in Haus und Nachbarschaft Ihr “Revier” erschließen konnten oder von einer Aufsicht an die nächste übergeben wurden; was die Tanten und Onkel, die Großeltern, die Lehrer, Erzieher, Nachbarn, Freunde und Bekannten Ihrer Eltern für Menschen waren – all das hat mehr oder weniger Einfluss ausgeübt, beeinflusst Sie noch heute.
Gehen Sie all dem nach in den Memoiren Ihrer Kindheit und Jugend. Setzen Sie ans Ende eine Beurteilung Ihrer jungen Jahre und halten Sie fest, was Sie heute als Erwachsener durch Selbstverbesserung schaffen wollen. Denn das ist Ihre große Chance: Als Erwachsener Ihre weitere “Erziehung” selbst zu übernehmen. Insbesondere als junger Erwachsener hat jeder diese großartige Chance!
Haben Sie das Steuer Ihres Lebens selbst in der Hand?
Nach den vielen Vorentscheidungen, die in Kindheit und Jugend für Ihr Leben schon gefallen sind, ist die Entscheidung für einen Beruf die erste, die Sie mehr oder weniger ganz allein treffen müssen. Der sogenannte Ernst des Lebens beginnt. Zu Zeiten, als die Rollenverteilung und die Einordnung in die Gesellschaft noch durch festgefügte Strukturen vorgegeben waren, gab es nicht viel zu überlegen.
Heute, wo einem jungen Menschen bei durchschnittlich entwickelter Intelligenz und nicht gerade einseitig auffälligem Verhalten unzählige Berufsmöglichkeit offen stehen, ist mancher junge Erwachsene ratlos. Da hilft zweierlei: Erstens ein Berufseignungstest und zweitens die Erkundung der infrage kommenden Berufe. Und: Sich von zuhause abnabeln. Raus!
Ist die Berufswahl getroffen und der Ausbildungsweg beschritten, hat man als junger Erwachsener die großartige Gelegenheit, sich all das in eigener Regie anzueignen, was man außer der Berufsausbildung für sein Leben zusätzlich braucht – was letztlich noch wichtiger ist, als auf einen Beruf hin zu lernen, zu studieren: sich als Person entwickeln.
Später im Beruf und unter den Anforderungen einer Familie hat man dazu nur noch eingeschränkt Zeit; da muss man drauf haben, was die jeweilige Situation verlangt: Initiative, Kreativität, Ausdauer, Zielstrebigkeit, Systematik, Konzentration, Belastbarkeit, Gedächtnis, Motivation, Selbstmanagement usw. Halten Sie Ausschau nach Menschen, die Ihnen das vorleben.
Beruf heute – das verlangt ständige Anpassungen an technische und organisatorische Neuerungen, an staatlich und durch Märkte verursachte Veränderungen. Ob man als Angestellter oder Selbständiger arbeitet – ohne Flexibilität und meist auch Mobilität gerät man schnell ins Hintertreffen. Wer in diesen Prozessen Herr des Geschehens, Herr seiner beruflichen Laufbahn werden und bleiben will, muss wie ein Unternehmer auf den Märkten seines Berufsfeldes agieren. Oder bei einem Dienstherrn unterschlüpfen, der ihm gegenüber eine lebenslange Treueverpflichtung eingeht – beim Staat.
Die Jahre vor dem endgültigen Berufseinstieg und vor der Familiengründung sind die Zeit, in der man sich für seinen Lebensweg selbst-verantwortlich ausrüstet. Es entscheidet sich in dieser Lebensphase, wie weit man kommt und wie hoch man steigt und was man erreicht, ob man zum Spielball der gesellschaftlichen Entwicklungen oder ob man sein eigener Unternehmer wird.
Haben Sie Ihren Lebenspartner gefunden?
Die frühe Phase des Erwachsenseins hat außer dem Einstieg in die Selbstentwicklung und die Berufsausbildung noch eine weitere wichtige Bedeutung: Mit wem will ich mich zusammen tun, um mit ihm gemeinsam mein weiteres Leben zu gestalten? Das Eingehen einer Ehe und die Gründung einer Familie gehören auch heute noch zu den Wunschvorstellungen der meisten jungen Erwachsenen – auch wenn sie das weit vorsichtiger angehen als frühere Generationen.
Insbesondere junge Frauen, die einen sie befriedigenden Beruf anstreben, schieben die Entscheidung “Ehe und Kinder” immer weiter hinaus. Denn mehr als junge Männer spüren sie, dass Ehe und Familie nicht leicht miteinander in Ausgleich gebracht werden können.
Aber erst einmal muss ein tauglicher Partner gefunden werden. Wenn man seine Persönlichkeitsentwicklung nicht dem Zufall der Herausforderungen durch das Umfeld überlässt, sondern in Eigenverantwortung und Selbststeuerung betreibt, gewinnt man schneller klare Vorstellungen darüber, wer zu einem passen könnte, als durch das Eingehen immer wieder neuer Probepartnerschaften.
Paare, die einen weitgehend gleichen Werte- und Orientierungshorizont haben, die einig in dem sind, was sie gemeinsam aufbauen und durchhalten wollen, die voneinander wissen, was sie einander zumuten und gegenseitig geben können – diese Paare haben die Chance, in einem ständigen Anpassungs- und Verbesserungsprozess gemeinsam alt zu werden.
Bei der heutigen Arbeitsorganisation wird und kann auf Ehe und Familie nicht allzu viel Rücksicht genommen werden. Zu unterschiedlich sind die Anforderungen, zu verschieden Vorgehensweise und Zeiteinteilung, Zielvorstellungen, intellektuelles und emotionales Engagement.
In einer Familie geht es nicht allein ums Funktionieren, auch nicht um die Organisation lediglich einer Freizeitgemeinschaft, sondern um Lebensgemeinschaft, in der Menschen füreinander da sind, sich nicht blockieren und nicht verführen, sich statt dessen beistehen, sich bestärken, sich trösten, aufeinander Rücksicht nehmen, Freude und Leid teilen, gegenseitig Halt geben, sich miteinander zu liebevollen Menschen entwickeln.
Familie heute – wenn es gelingt, sie als starke Gemeinschaft in Unabhängigkeit zu leben, kann vieles von dem ausgeglichen werden, was durch die Stürme der Zeit ins Wanken gebracht oder gar weggerissen wird. Sie kann die Kraft geben, die Menschen brauchen, um sich in ihrem Beruf zu behaupten. Sie kann der Folgegeneration die Eigenschaften und Fähigkeiten geben, die sie braucht, um später ihrerseits als aktive Generation in dieser Welt Verantwortung im Beruf und als Vater oder Mutter zu übernehmen.
Orden geben ein besonderes Lebensbeispiel
Es gibt Menschen, die vom Weltverständnis ihrer Religion her an ihren Lebensentwurf herangehen. Sie fragen sich nicht, was will ich vom Leben haben, sie fragen sich vielmehr, wofür will ich mein Leben einsetzen. Das kann zu einem sehr konsequenten Lebensentwurf führen, etwa zum Eintritt in einen Orden. Das Leben wird als Einheit verstanden, in der Welt- und Menschenverständnis zum Ausdruck kommen. Dem ganzheitlichen Verständnis beispielsweise katholisch ausgerichteter Ordensgemeinschaften liegen drei Entscheidungen zugrunde:
- Ich erstrebe kein persönliches Eigentum.
- Ich ordne mich der Hierarchie der von mir gewählten Gemeinschaft unter.
- Ich verzichte auf Ehe und Familie.
Orden sind die einzige Form von Kommunismus, die ihre Funktionsfähigkeit über Jahrhunderte bewiesen hat. Die Gründe:
- Das Zusammenleben beruht auf der freien Entscheidung der Mitglieder.
- Die Sozialstrukturen sind als Mikroorganismus angelegt.
- Auf persönliches Eigentum wird verzichtet.
Zusammenschlüsse dieser Art sind wie alle menschlichen Gemeinschaften nicht statisch, sondern verändern sich sowohl aufgrund gruppendynamischer Prozesse als auch aufgrund der Vorgänge im gesellschaftlichen Umfeld.
Zu allen Zeiten haben religiöse Menschen, die konsequent aus ihrem Glauben heraus ihr Leben gestalten wollen, neue Gemeinschaftsformen entwickelt. In der Katholischen Kirche gibt es heute, insbesondere von Frankreich ausgehend, Gruppen mit starken charismatischen Prägungen, die auch Partnerschaftsbeziehungen mit Kindern zu integrieren versuchen.
Ist die Entscheidung für ein Leben in einer Ordensgemeinschaft gefallen und werden die daraus folgenden Verhaltensformen eingehalten, eröffnen sich im Sinne des “Sich liebevoll nützlich machen” so gut wie alle Lebensweisen und Betätigungsfelder dieser Erde. Das reicht vom Einzelkämpfer in den Slums von Sao Paulo bis zur Touristenseelsorge in Benidorm, von der zurückgezogen lebenden Gemeinschaft in Kalifornien bis zur Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, von der Pflege todkranker Menschen bis zu Seminaren für Top-Manager.
Wie haben Sie Ihre Seniorenzeit vorbereitet?
Der Rückzug aus dem Berufsleben erfolgt aufgrund der Vollzeit-Organisation unseres Wirtschaftslebens für viele Menschen recht abrupt. Fließende Übergänge in den sogenannten Ruhestand sind für Leistungsträger schwer herzustellen. Entweder ist einer voll engagiert dabei oder er ist überflüssig. Kehraus-Jobs sind nur in der einen oder anderen Nische zu haben. Erlebt wird der Abgang unterschiedlich: Der eine zählt am Ende die Wochen und Monate, bis er endlich seine Aufgaben einem Nachfolger übergeben kann, der andere fühlt sich hinausgedrängt.
Viele Unternehmer und Freiberufler, die es selbst in der Hand haben, den Zeitpunkt ihres Abgangs zu bestimmen und ihn zu organisieren, können nicht loslassen, halten sich für unentbehrlich, fürchten den Verlust von Einfluss, Macht und Prestige. Probleme haben alle die, die sich nicht zurücknehmen können, denen es schwer fällt, all das aufzugeben, was sie sich in den Jahren des vollen beruflichen Engagements an Positionen aufgebaut haben.
Bei der Lebensgestaltung wurde versäumt, rechtzeitig die Zeit “danach” einzubeziehen, sich darauf einzustellen. Wer sein Selbstbewusstsein an seinem Job festgemacht hat, spürt plötzlich, dass er nach seinem Abgang keinen Lebensinhalt mehr hat.
Daher: Gewinnen Sie so früh wie möglich in Ihrem Leben ein Selbstbewusstsein, das von Ihren beruflichen Erfolgen unabhängig ist!
Sind die “Herrschaften” schließlich “draußen”, weil es die Pensionsregelungen, das Marktgeschehen, die Familie oder die Gesundheit so festgelegt oder erzwungen haben, kommen viele dieser älteren, durchaus noch leistungsfähigen Menschen mit ihrem Alltag nicht zurecht. Manch einer, der es über ein fremdbestimmtes Leben mit Stress nicht hinaus gebracht hat, versinkt im Nichtstun.
Andere verplanen sich derart, dass sie nach wie vor von Termin zu Termin hetzen. Sie alle zeigen sich unvorbereitet auf ihre nachberufliche Lebensphase. Statt sich darauf einzustellen, das nachberufliche Leben zu einem ganz persönlichen Lebenshöhepunkt zu machen, wurden lediglich Wunschvorstellungen gepflegt oder sogenannte Lebensträume gehegt.
Man muss Gespür für den rechten Augenblick in seinem Leben haben. Alles zu seiner Zeit! Für die Seniorenzeit heißt das: Zum Gipfel seines Lebens aufsteigen! Sehen Sie die Jahre nach Ihrem Berufsleben als die große Chance, sich mit all Ihrem Wissen und all Ihren Erfahrungen nützlich zu machen!
Kommen Sie zur Fülle Ihres Lebens!
Ob Sie mit Ihrer Berufserfahrung jungen Unternehmensgründern als Lotse dienen, ob Sie in der sogenannten Dritten Welt bei Entwicklungsprojekten beratend mitwirken, ob Sie Ihre Einsichten und Erlebnisse in Memoiren mitteilen, ob Sie Ihren Enkeln ein Verhaltens- und Lebensbeispiel geben oder ob Sie in Ehrenämtern sich daran beteiligen, dass in unserer Gesellschaft auch Unbezahlbares geleistet wird – nehmen Sie sich nicht zurück!
Kommen Sie stattdessen zur Fülle Ihres Lebens! In der es keinen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen befriedigenden und unbefriedigenden Tätigkeiten, zwischen Lust und Frust gibt. Bringen Sie ein, was Sie in Ihrem bisherigen Leben gelernt haben und seien Sie ein Vorbild für Lern- und Kommunikationsfähigkeit!
Wer der falschen Vorstellung erlegen ist, dass die Gipfeljahre seines Lebens die 40er und eventuell noch 50er Jahre seien, der bekommt ein Problem: Im Danach findet er keine Aufgabe mehr, die ihm einen als vollgültig empfundenen Lebenssinn geben kann; er empfindet sein Leben als schon gelaufen.
Damit es nicht dazu kommt, muss man sein Leben als Einheit, als ein Ganzes verstehen, in dem sich zwar Phasen aneinander reihen, aber jede Phase verstärkend auf die folgenden wirkt. Seit der Phase Ihres frühen Erwachsenseins nehmen Sie selbstverantwortlichen Einfluss auf Ihre Einstellungen und Verhaltensweisen, die auch Ihr Leben nach der Phase der fälschlicher Weise so genannten “aktiven Jahre” bestimmen.
Seien Sie bescheidenes Vorbild und kluger Ratgeber!
Zwei Voraussetzungen müssen Sie erfüllen, wenn Sie sich so ab Ihrem 60. Lebensjahr zum Höhepunkt Ihres Lebens aufschwingen: Sie müssen erstens gesund sein und zweitens mental beweglich. Wenn Sie glauben, die Erkenntnisse und Erfahrungen Ihrer Jahre davor seien der Weisheit letzter Schluss und brauchten nur entsprechend nachdrücklich in die Welt der jüngeren Zeitgenossen eingebracht werden – dann hört Ihnen keiner zu, nimmt man Ihren Rat nicht an, lässt man Sie stehen oder schmeißt sie raus.
Nur der in frühen Jahren begonnene Prozess ständiger Selbstentwicklung und kontinuierlicher Selbstverbesserung wird Ihnen die Weisheit der Bescheidenheit geben, die Ihnen erlaubt, den jüngeren Menschen sowohl Vorbild als auch Ratgeber zu sein. Verantwortung wird man Ihnen übertragen, wenn man sicher ist, dass Sie nicht bevormunden, sondern aktuell und situativ zutreffend sich einzubringen vermögen.
Daher: Halten Sie sich geistig fit, wie Sie es schon als junger Erwachsener als “Ihr eigener Unternehmer” begonnen haben!
Zweite Voraussetzung: Gesundheit. Auch die wird schon in frühen Jahren des Lebens entweder erhalten und gefördert oder ruiniert. Mit den Hörschäden aus der Disko kann die Beeinträchtigung bereits anfangen. Selbstverständlich ist jeder mit Erbgut ausgestattet, das seiner Gesundheit förderlich oder gefährlich sein kann. Auch wird jeder in ein Umfeld geboren, das sich zuträglich oder abträglich auswirkt.
Aber spätestens als junger Erwachsener sollte jeder herausfinden, wie man mit dem hohen Gut seiner Gesundheit umgehen muss, um sich nicht durch Gedankenlosigkeit, Faulheit, Verführbarkeit und Disziplinlosigkeit zu schädigen.
Daher: Nicht der Lust des Augenblicks verfallen, sondern seine Gesundheit als Grundausstattung seines Lebens sehen, die es zu erhalten und zu fördern gilt!
Der Tod ist unausweichlich. Man sollte auf ihn vorbereitet sein – sein Leben lang. Denn er kann auch plötzlich kommen. Deshalb sollten Sie die wichtigen Dinge, die mit ihm zusammenhängen, geregelt haben. Das schulden Sie den Menschen Ihres Umfelds, die davon betroffen sind. Wie Sie den Tod verstehen, ihn für sich interpretieren und Ihr Leben auf ihn hin ausrichten oder ihn verdrängen – das ist Ihre urpersönliche Angelegenheit.
Wenn ich meine Lebensjahrzehnte vor dem Zeithorizont Gottes, der Ewigkeit, sehe und meine Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden als Vorfreude auf das Reich Gottes verstehe, dann kann es nach dem Tod doch nur richtig losgehen! Oder?