Kapitel 23

Alles hat seine Zeit: Lebensphasen

Wir Menschen sind wandlungs- und anpas­sungs­fähig und haben einen freien Willen. Aufgrund unserer Erban­lagen und entspre­chend den Einflüssen unseres Umfelds in den ersten Lebens­jahren entwi­ckeln wir unsere Persön­lichkeit. Jede Lebens­phase schlägt sich in den folgenden nieder. Neu beginnen kann sein Leben niemand. Die größte Chance, in ein selbst­be­stimmtes Leben hinein­zu­wachsen, bietet sich denen, die in den frühen Jahren ihres Erwach­sen­seins bereit sind, an sich zu arbeiten.

Das Geschenk der Freiheit nutzen

Kein Lebewesen kommt so entwick­lungs­be­dürftig zur Welt wie der Mensch. Die Erban­lagen und ihre Ausge­staltung, zunächst durch die Bezugs­per­sonen der frühen Jahre und dann immer stärker durch einen selbst, verleihen jedem von uns Einmaligkeit.

Das Zeitkon­tingent seines Lebens kennt niemand. Es gibt die statis­tische Größe der Lebens­er­wartung. So lange es keinen Grund für eine andere Annahme gibt, geht jeder davon aus, dass er sich im Rahmen der Statistik bewegt. Ausge­füllt wird der Rahmen durch einen indivi­du­ellen Lebenslauf.

Die Perso­na­lität des Menschen wird in den unter­schied­lichen Lebens­läufen deutlich. Auf den eigenen Lebenslauf möglichst viel Einfluss zu gewinnen, ist die Chance, die insbe­sondere den Menschen in den entwi­ckelten Ländern gegeben ist. Sie nicht wahrzu­nehmen, ist das Ausschlagen des Geschenks der Freiheit.

Die Vorgaben der Kindheit und Jugend

In früheren Jahrhun­derten wurde man in eine soziale Schicht hinein­ge­boren. Und da blieb man bis ans Lebensende. Heute sind wir von den Vorgaben der Geburt weitgehend befreit. Weder Blut noch Standes­zu­ge­hö­rigkeit bestimmen unsere Zukunft. Aber mehr denn je unsere Eltern!

Wie würden Sie Ihre Eltern beschreiben? Die Lebens­vor­stel­lungen und Verhal­tens­weisen von Vätern und Müttern sind in unserer Zeit sehr unter­schiedlich. Bekommt ein Paar das erste Kind, so treten die Unter­schiede meist schlag­artig zutage.

Denn die Lebens­si­tuation verändert sich einschneidend: Mobilität und Flexi­bi­lität sind einge­schränkt, die Verteilung der Aufgaben muss neu vorge­nommen werden, nicht alle lieb gewon­nenen Gewohn­heiten lassen sich aufrecht erhalten, die Karriere-Erwar­tungen müssen eventuell revidiert werden. Wie gehen Mann und Frau mit diesen Verän­de­rungen um? Wer fühlt sich benach­teiligt? Worin sind sich beide einig? Wo sind die Differenzen?

In der Behandlung des Kindes werden die Auffas­sungen und Verhal­tens­ge­wohn­heiten offenkundig:

  • Meinungs­ver­schie­den­heiten bei der Einschätzung von Gefahren;
  • unter­schied­liche Reizschwellen;
  • der eine in seinem Verhalten eher spontan, der andere überlegt;
  • was SIE verbietet, erlaubt ER;
  • der eine lässt nur wenig Freiraum, der andere lässt vieles durchgehen;
  • der eine konse­quent im Umgang, der andere mal so mal so.

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die Unter­schiede, die sich aus den verschie­denen Persön­lich­keiten der Eltern ergeben, gab es immer. Aber heute schlagen sie unmit­telbar durch, weil von Seiten der Gesell­schaft kaum noch gleich­ge­richtete Vorgaben als Verhal­tens­ma­ximen gemacht werden.

Mütter und Väter müssen jeder für sich und beide gemeinsam entscheiden, bewusst oder unbewusst, in welcher Vorstel­lungswelt und welcher Wirklichkeit die Kinder erzogen werden. Bereits die Namens­gebung für ein Kind spiegelt das wider. Sind Sie mit dem Namen, den Ihre Eltern Ihnen gegeben haben, zufrieden?

Hatten Sie das Glück guter Eltern?

Wie würden Sie Ihre Mutter und wie Ihren Vater beschreiben? Welches Vorbild haben die beiden Ihnen gegeben? Ergänzen Sie die folgenden Stich­worte und schreiben Sie dann das Porträt Ihrer Eltern:

Ihre Mutter
ruhig
egoistisch
liebevoll
harte Schale, weicher Kern
ängstlich
unausgeglichen
vorsichtig
schweigsam
redselig
streng
nachsichtig
konsequent
verständnisvoll
immer gut gelaunt
Bauchmensch
ordentlich
Chaot
Verstandesmensch
Sponti
auf Prestige bedacht
voller Ideen
Temperamentsbündel
Ihr Vater

Fragen Sie sich nach dem Schreiben der Porträts, was Sie von den Personen übernommen haben, die bestimmend waren für Ihr Erwach­sen­werden. Welche Handicaps aus Kindheit und Jugend haben Sie in Ihr Erwach­se­nen­leben mitbekommen?

Kein Mensch wird erwachsen, ohne das Opfer von Erzie­hungs­fehlern geworden zu sein. Viele dieser Fehler werden in bester Absicht begangen. Denn mancher Vater und manche Mutter sind mit ihren Erzie­hungs­auf­gaben trotz allen Bemühens überfordert.

Wie schon in Stein­zeit­ge­sell­schaften herrscht bei uns dennoch die Auffassung vor, erziehen könne jeder, da er ja als Kind erlebt habe, wie das geht. Ein verhäng­nis­voller Irrtum, wie sich heute vor allem in Gesell­schaften heraus­stellt, deren Familien aufgrund von Auflö­sungs­er­schei­nungen die Erzie­hungs­auf­gaben kaum noch wahrnehmen.

Für viele Eltern sind Beruf und Karriere mit Familie nur schwer zu verein­baren. Sie haben zu wenig Zeit für ihre Kinder, wollen alles so durch­ra­tio­na­li­sieren, wie sie es vom Arbeits­platz her gewohnt sind. Sie fühlen sich zuhause ruhebe­dürftig, würden gerne bei einem ihrer Hobbies entspannen, statt sich dem Kinder­stress auszu­setzen. Da man in einem Sozial­staat für sein materi­elles Auskommen einen Arbeits­platz und keinen Famili­en­verbund braucht, entscheiden sich viele junge Leute für Beruf und Partner, aber nicht für Kinder.

In der Pubertät beginnt die Außen­ori­en­tierung. Was die gleich­alt­rigen Freunde und Freun­dinnen sagen und tun, bekommt größere Bedeutung gegenüber dem, was die Erzie­hungs­per­sonen nahe legen. Jetzt wird auspro­biert, was die Welt so zu bieten hat, was hinter den Verboten steckt und womit man sich Geltung verschaffen kann.

Der Abnabe­lungs­prozess vom Elternhaus beginnt. Wenn in dieser Phase Ihres Lebens sich das Verhältnis zu Ihren Eltern zu einer Beziehung vor allem des offenen Gesprächs gewandelt hat, wenn Sie zu ihnen Vertrauen hatten, Ihnen ihre Meinung zu Ihren Fragen und Problemen wichtig war – dann zählen Sie zu den Glück­lichen, die gute Eltern haben oder hatten.

Nutzen Sie die Chancen, sich auf eigene Füße zu stellen!

Wer sich Klarheit darüber verschaffen will, wie er auf den Lebensweg gekommen ist, den er als Erwach­sener geht, der sollte die Memoiren seiner Kindheit und Jugend schreiben. Dadurch bringen Sie an die Oberfläche Ihres Bewusst­seins, was in Ihnen verschüttet sein könnte, was sich nicht entfalten konnte, was Sie vielleicht gefangen hält.

Holen Sie die Fotos und Filme hervor, schauen Sie sich an und empfinden Sie nach, was Sie mit Freude, mit Schrecken, mit Angst, mit Wider­willen, mit Stolz, mit Sicherheit, Gebor­genheit, Liebe erfüllt hat. Erinnern Sie sich! Und schreiben Sie alles detail­liert auf! Sie werden staunen, was da alles im Laufe des Erinnerns hoch kommt.

Und was alles eine Rolle spielt: Ob Sie in der Stadt oder auf dem Land groß wurden, ob Sie Einzelkind waren oder mit Geschwistern aufwuchsen, ob Sie sich selbständig in Haus und Nachbar­schaft Ihr “Revier” erschließen konnten oder von einer Aufsicht an die nächste übergeben wurden; was die Tanten und Onkel, die Großeltern, die Lehrer, Erzieher, Nachbarn, Freunde und Bekannten Ihrer Eltern für Menschen waren – all das hat mehr oder weniger Einfluss ausgeübt, beein­flusst Sie noch heute.

Gehen Sie all dem nach in den Memoiren Ihrer Kindheit und Jugend. Setzen Sie ans Ende eine Beurteilung Ihrer jungen Jahre und halten Sie fest, was Sie heute als Erwach­sener durch Selbst­ver­bes­serung schaffen wollen. Denn das ist Ihre große Chance: Als Erwach­sener Ihre weitere “Erziehung” selbst zu übernehmen. Insbe­sondere als junger Erwach­sener hat jeder diese großartige Chance!

Haben Sie das Steuer Ihres Lebens selbst in der Hand?

Nach den vielen Vorent­schei­dungen, die in Kindheit und Jugend für Ihr Leben schon gefallen sind, ist die Entscheidung für einen Beruf die erste, die Sie mehr oder weniger ganz allein treffen müssen. Der sogenannte Ernst des Lebens beginnt. Zu Zeiten, als die Rollen­ver­teilung und die Einordnung in die Gesell­schaft noch durch festge­fügte Struk­turen vorge­geben waren, gab es nicht viel zu überlegen.

Heute, wo einem jungen Menschen bei durch­schnittlich entwi­ckelter Intel­ligenz und nicht gerade einseitig auffäl­ligem Verhalten unzählige Berufs­mög­lichkeit offen stehen, ist mancher junge Erwachsene ratlos. Da hilft zweierlei: Erstens ein Berufs­eig­nungstest und zweitens die Erkundung der infrage kommenden Berufe. Und: Sich von zuhause abnabeln. Raus!

Ist die Berufswahl getroffen und der Ausbil­dungsweg beschritten, hat man als junger Erwach­sener die großartige Gelegenheit, sich all das in eigener Regie anzueignen, was man außer der Berufs­aus­bildung für sein Leben zusätzlich braucht – was letztlich noch wichtiger ist, als auf einen Beruf hin zu lernen, zu studieren: sich als Person entwickeln.

Später im Beruf und unter den Anfor­de­rungen einer Familie hat man dazu nur noch einge­schränkt Zeit; da muss man drauf haben, was die jeweilige Situation verlangt: Initiative, Kreati­vität, Ausdauer, Zielstre­bigkeit, Syste­matik, Konzen­tration, Belast­barkeit, Gedächtnis, Motivation, Selbst­ma­nagement usw. Halten Sie Ausschau nach Menschen, die Ihnen das vorleben.

Beruf heute – das verlangt ständige Anpas­sungen an technische und organi­sa­to­rische Neuerungen, an staatlich und durch Märkte verur­sachte Verän­de­rungen. Ob man als Angestellter oder Selbstän­diger arbeitet – ohne Flexi­bi­lität und meist auch Mobilität gerät man schnell ins Hinter­treffen. Wer in diesen Prozessen Herr des Geschehens, Herr seiner beruf­lichen Laufbahn werden und bleiben will, muss wie ein Unter­nehmer auf den Märkten seines Berufs­feldes agieren. Oder bei einem Dienst­herrn unter­schlüpfen, der ihm gegenüber eine lebens­lange Treue­ver­pflichtung eingeht – beim Staat.

Die Jahre vor dem endgül­tigen Berufs­ein­stieg und vor der Famili­en­gründung sind die Zeit, in der man sich für seinen Lebensweg selbst-verant­wortlich ausrüstet. Es entscheidet sich in dieser Lebens­phase, wie weit man kommt und wie hoch man steigt und was man erreicht, ob man zum Spielball der gesell­schaft­lichen Entwick­lungen oder ob man sein eigener Unter­nehmer wird.

Haben Sie Ihren Lebens­partner gefunden?

Die frühe Phase des Erwach­sen­seins hat außer dem Einstieg in die Selbst­ent­wicklung und die Berufs­aus­bildung noch eine weitere wichtige Bedeutung: Mit wem will ich mich zusammen tun, um mit ihm gemeinsam mein weiteres Leben zu gestalten? Das Eingehen einer Ehe und die Gründung einer Familie gehören auch heute noch zu den Wunsch­vor­stel­lungen der meisten jungen Erwach­senen – auch wenn sie das weit vorsich­tiger angehen als frühere Generationen.

Insbe­sondere junge Frauen, die einen sie befrie­di­genden Beruf anstreben, schieben die Entscheidung “Ehe und Kinder” immer weiter hinaus. Denn mehr als junge Männer spüren sie, dass Ehe und Familie nicht leicht mitein­ander in Ausgleich gebracht werden können.

Aber erst einmal muss ein tauglicher Partner gefunden werden. Wenn man seine Persön­lich­keits­ent­wicklung nicht dem Zufall der Heraus­for­de­rungen durch das Umfeld überlässt, sondern in Eigen­ver­ant­wortung und Selbst­steuerung betreibt, gewinnt man schneller klare Vorstel­lungen darüber, wer zu einem passen könnte, als durch das Eingehen immer wieder neuer Probepartnerschaften.

Paare, die einen weitgehend gleichen Werte- und Orien­tie­rungs­ho­rizont haben, die einig in dem sind, was sie gemeinsam aufbauen und durch­halten wollen, die vonein­ander wissen, was sie einander zumuten und gegen­seitig geben können – diese Paare haben die Chance, in einem ständigen Anpas­sungs- und Verbes­se­rungs­prozess gemeinsam alt zu werden.

Bei der heutigen Arbeits­or­ga­ni­sation wird und kann auf Ehe und Familie nicht allzu viel Rücksicht genommen werden. Zu unter­schiedlich sind die Anfor­de­rungen, zu verschieden Vorge­hens­weise und Zeitein­teilung, Zielvor­stel­lungen, intel­lek­tu­elles und emotio­nales Engagement.

In einer Familie geht es nicht allein ums Funktio­nieren, auch nicht um die Organi­sation lediglich einer Freizeit­ge­mein­schaft, sondern um Lebens­ge­mein­schaft, in der Menschen fürein­ander da sind, sich nicht blockieren und nicht verführen, sich statt dessen beistehen, sich bestärken, sich trösten, aufein­ander Rücksicht nehmen, Freude und Leid teilen, gegen­seitig Halt geben, sich mitein­ander zu liebe­vollen Menschen entwickeln.

Familie heute – wenn es gelingt, sie als starke Gemein­schaft in Unabhän­gigkeit zu leben, kann vieles von dem ausge­glichen werden, was durch die Stürme der Zeit ins Wanken gebracht oder gar wegge­rissen wird. Sie kann die Kraft geben, die Menschen brauchen, um sich in ihrem Beruf zu behaupten. Sie kann der Folge­ge­neration die Eigen­schaften und Fähig­keiten geben, die sie braucht, um später ihrer­seits als aktive Generation in dieser Welt Verant­wortung im Beruf und als Vater oder Mutter zu übernehmen.

Orden geben ein beson­deres Lebensbeispiel

Es gibt Menschen, die vom Weltver­ständnis ihrer Religion her an ihren Lebens­entwurf heran­gehen. Sie fragen sich nicht, was will ich vom Leben haben, sie fragen sich vielmehr, wofür will ich mein Leben einsetzen. Das kann zu einem sehr konse­quenten Lebens­entwurf führen, etwa zum Eintritt in einen Orden. Das Leben wird als Einheit verstanden, in der Welt- und Menschen­ver­ständnis zum Ausdruck kommen. Dem ganzheit­lichen Verständnis beispiels­weise katho­lisch ausge­rich­teter Ordens­ge­mein­schaften liegen drei Entschei­dungen zugrunde:

  1. Ich erstrebe kein persön­liches Eigentum.
  2. Ich ordne mich der Hierarchie der von mir gewählten Gemein­schaft unter.
  3. Ich verzichte auf Ehe und Familie.

Orden sind die einzige Form von Kommu­nismus, die ihre Funkti­ons­fä­higkeit über Jahrhun­derte bewiesen hat. Die Gründe:

  1. Das Zusam­men­leben beruht auf der freien Entscheidung der Mitglieder.
  2. Die Sozial­struk­turen sind als Mikro­or­ga­nismus angelegt.
  3. Auf persön­liches Eigentum wird verzichtet.

Zusam­men­schlüsse dieser Art sind wie alle mensch­lichen Gemein­schaften nicht statisch, sondern verändern sich sowohl aufgrund gruppen­dy­na­mi­scher Prozesse als auch aufgrund der Vorgänge im gesell­schaft­lichen Umfeld.

Zu allen Zeiten haben religiöse Menschen, die konse­quent aus ihrem Glauben heraus ihr Leben gestalten wollen, neue Gemein­schafts­formen entwi­ckelt. In der Katho­li­schen Kirche gibt es heute, insbe­sondere von Frank­reich ausgehend, Gruppen mit starken charis­ma­ti­schen Prägungen, die auch Partner­schafts­be­zie­hungen mit Kindern zu integrieren versuchen.

Ist die Entscheidung für ein Leben in einer Ordens­ge­mein­schaft gefallen und werden die daraus folgenden Verhal­tens­formen einge­halten, eröffnen sich im Sinne des “Sich liebevoll nützlich machen” so gut wie alle Lebens­weisen und Betäti­gungs­felder dieser Erde. Das reicht vom Einzel­kämpfer in den Slums von Sao Paulo bis zur Touris­ten­seel­sorge in Benidorm, von der zurück­ge­zogen lebenden Gemein­schaft in Kalifornien bis zur Theolo­gi­schen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main, von der Pflege todkranker Menschen bis zu Seminaren für Top-Manager.

Wie haben Sie Ihre Senio­renzeit vorbereitet?

Der Rückzug aus dem Berufs­leben erfolgt aufgrund der Vollzeit-Organi­sation unseres Wirtschafts­lebens für viele Menschen recht abrupt. Fließende Übergänge in den sogenannten Ruhestand sind für Leistungs­träger schwer herzu­stellen. Entweder ist einer voll engagiert dabei oder er ist überflüssig. Kehraus-Jobs sind nur in der einen oder anderen Nische zu haben. Erlebt wird der Abgang unter­schiedlich: Der eine zählt am Ende die Wochen und Monate, bis er endlich seine Aufgaben einem Nachfolger übergeben kann, der andere fühlt sich hinausgedrängt.

Viele Unter­nehmer und Freibe­rufler, die es selbst in der Hand haben, den Zeitpunkt ihres Abgangs zu bestimmen und ihn zu organi­sieren, können nicht loslassen, halten sich für unent­behrlich, fürchten den Verlust von Einfluss, Macht und Prestige. Probleme haben alle die, die sich nicht zurück­nehmen können, denen es schwer fällt, all das aufzu­geben, was sie sich in den Jahren des vollen beruf­lichen Engage­ments an Positionen aufgebaut haben.

Bei der Lebens­ge­staltung wurde versäumt, recht­zeitig die Zeit “danach” einzu­be­ziehen, sich darauf einzu­stellen. Wer sein Selbst­be­wusstsein an seinem Job festge­macht hat, spürt plötzlich, dass er nach seinem Abgang keinen Lebens­inhalt mehr hat.

Daher: Gewinnen Sie so früh wie möglich in Ihrem Leben ein Selbst­be­wusstsein, das von Ihren beruf­lichen Erfolgen unabhängig ist!

Sind die “Herrschaften” schließlich “draußen”, weil es die Pensi­ons­re­ge­lungen, das Markt­ge­schehen, die Familie oder die Gesundheit so festgelegt oder erzwungen haben, kommen viele dieser älteren, durchaus noch leistungs­fä­higen Menschen mit ihrem Alltag nicht zurecht. Manch einer, der es über ein fremd­be­stimmtes Leben mit Stress nicht hinaus gebracht hat, versinkt im Nichtstun.

Andere verplanen sich derart, dass sie nach wie vor von Termin zu Termin hetzen. Sie alle zeigen sich unvor­be­reitet auf ihre nachbe­ruf­liche Lebens­phase. Statt sich darauf einzu­stellen, das nachbe­ruf­liche Leben zu einem ganz persön­lichen Lebens­hö­he­punkt zu machen, wurden lediglich Wunsch­vor­stel­lungen gepflegt oder sogenannte Lebens­träume gehegt.

Man muss Gespür für den rechten Augen­blick in seinem Leben haben. Alles zu seiner Zeit! Für die Senio­renzeit heißt das: Zum Gipfel seines Lebens aufsteigen! Sehen Sie die Jahre nach Ihrem Berufs­leben als die große Chance, sich mit all Ihrem Wissen und all Ihren Erfah­rungen nützlich zu machen!

Kommen Sie zur Fülle Ihres Lebens!

Ob Sie mit Ihrer Berufs­er­fahrung jungen Unter­neh­mens­gründern als Lotse dienen, ob Sie in der sogenannten Dritten Welt bei Entwick­lungs­pro­jekten beratend mitwirken, ob Sie Ihre Einsichten und Erleb­nisse in Memoiren mitteilen, ob Sie Ihren Enkeln ein Verhaltens- und Lebens­bei­spiel geben oder ob Sie in Ehren­ämtern sich daran betei­ligen, dass in unserer Gesell­schaft auch Unbezahl­bares geleistet wird – nehmen Sie sich nicht zurück!

Kommen Sie statt­dessen zur Fülle Ihres Lebens! In der es keinen Unter­schied zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen befrie­di­genden und unbefrie­di­genden Tätig­keiten, zwischen Lust und Frust gibt. Bringen Sie ein, was Sie in Ihrem bishe­rigen Leben gelernt haben und seien Sie ein Vorbild für Lern- und Kommunikationsfähigkeit!

Wer der falschen Vorstellung erlegen ist, dass die Gipfel­jahre seines Lebens die 40er und eventuell noch 50er Jahre seien, der bekommt ein Problem: Im Danach findet er keine Aufgabe mehr, die ihm einen als vollgültig empfun­denen Lebenssinn geben kann; er empfindet sein Leben als schon gelaufen.

Damit es nicht dazu kommt, muss man sein Leben als Einheit, als ein Ganzes verstehen, in dem sich zwar Phasen anein­ander reihen, aber jede Phase verstärkend auf die folgenden wirkt. Seit der Phase Ihres frühen Erwach­sen­seins nehmen Sie selbst­ver­ant­wort­lichen Einfluss auf Ihre Einstel­lungen und Verhal­tens­weisen, die auch Ihr Leben nach der Phase der fälsch­licher Weise so genannten “aktiven Jahre” bestimmen.

Seien Sie beschei­denes Vorbild und kluger Ratgeber!

Zwei Voraus­set­zungen müssen Sie erfüllen, wenn Sie sich so ab Ihrem 60. Lebensjahr zum Höhepunkt Ihres Lebens aufschwingen: Sie müssen erstens gesund sein und zweitens mental beweglich. Wenn Sie glauben, die Erkennt­nisse und Erfah­rungen Ihrer Jahre davor seien der Weisheit letzter Schluss und brauchten nur entspre­chend nachdrücklich in die Welt der jüngeren Zeitge­nossen einge­bracht werden – dann hört Ihnen keiner zu, nimmt man Ihren Rat nicht an, lässt man Sie stehen oder schmeißt sie raus.

Nur der in frühen Jahren begonnene Prozess ständiger Selbst­ent­wicklung und konti­nu­ier­licher Selbst­ver­bes­serung wird Ihnen die Weisheit der Beschei­denheit geben, die Ihnen erlaubt, den jüngeren Menschen sowohl Vorbild als auch Ratgeber zu sein. Verant­wortung wird man Ihnen übertragen, wenn man sicher ist, dass Sie nicht bevor­munden, sondern aktuell und situativ zutreffend sich einzu­bringen vermögen.

Daher: Halten Sie sich geistig fit, wie Sie es schon als junger Erwach­sener als “Ihr eigener Unter­nehmer” begonnen haben!

Zweite Voraus­setzung: Gesundheit. Auch die wird schon in frühen Jahren des Lebens entweder erhalten und gefördert oder ruiniert. Mit den Hörschäden aus der Disko kann die Beein­träch­tigung bereits anfangen. Selbst­ver­ständlich ist jeder mit Erbgut ausge­stattet, das seiner Gesundheit förderlich oder gefährlich sein kann. Auch wird jeder in ein Umfeld geboren, das sich zuträglich oder abträglich auswirkt.

Aber spätestens als junger Erwach­sener sollte jeder heraus­finden, wie man mit dem hohen Gut seiner Gesundheit umgehen muss, um sich nicht durch Gedan­ken­lo­sigkeit, Faulheit, Verführ­barkeit und Diszi­plin­lo­sigkeit zu schädigen.

Daher: Nicht der Lust des Augen­blicks verfallen, sondern seine Gesundheit als Grund­aus­stattung seines Lebens sehen, die es zu erhalten und zu fördern gilt!

Der Tod ist unaus­weichlich. Man sollte auf ihn vorbe­reitet sein – sein Leben lang. Denn er kann auch plötzlich kommen. Deshalb sollten Sie die wichtigen Dinge, die mit ihm zusam­men­hängen, geregelt haben. Das schulden Sie den Menschen Ihres Umfelds, die davon betroffen sind. Wie Sie den Tod verstehen, ihn für sich inter­pre­tieren und Ihr Leben auf ihn hin ausrichten oder ihn verdrängen – das ist Ihre urper­sön­liche Angelegenheit.

Wenn ich meine Lebens­jahr­zehnte vor dem Zeitho­rizont Gottes, der Ewigkeit, sehe und meine Sehnsucht nach Gerech­tigkeit und Frieden als Vorfreude auf das Reich Gottes verstehe, dann kann es nach dem Tod doch nur richtig losgehen! Oder?

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