Teil 2, 4. Abschnitt
3.4 Typologie der Personen
und Handlungen
So wie in den Wildwestfilmen in der Regel die gleichen Personentypen gezeigt werden, deren dramaturgische Verflechtung ebenso regelmäßig nach einem typisierten Handlungsschema geschieht, so wie in Heimatfilmen dem Förster eine stets ähnliche Rolle zufällt und den anderen Darstellern ebenso – den Sommerfrischlern, meistens reiche Bürger aus der Großstadt, den naturverbundenen Einheimischen einschließlich Wilderer. Wie sich fast regelmäßig die Tochter des reichen Bürgers in den Naturburschen in Gestalt des Försters verliebt – so zeichnen sich auch in einem großen Teil der Halbstarkenfilme Personen- und Handlungstypen ab, deren grob vereinfachende Darstellung nunmehr zusammenfassend aufgezeigt werden soll.
3.4.1 Personentypen
Die Halbstarken werden dargestellt als ein urbanes Phänomen. Gemäß dem Plural der Wortes „Halbstarke“ handelt es sich um Jungen in Gruppen, Banden, Gangs. Zu ihrer Umwelt stehen sie in institutionalisiertem Widerspruch. Ausgedrückt wird das durch die schon beschriebene Art der Kleidung, des Tanzens und der Aggression. Dazu kommt noch die Sprache, in der von “Zähnen“, „Feuerschlitten“, „Heulern“, „Zentralschaffen“ und Tätigkeiten wie „aufreißen“ die Rede ist. Halbstarke haben ein Alter zwischen 15 und 18 Jahren, stammen aus der Unterklasse und haben Freundinnen. Ein Gang besteht aus dem Chef, der Gefolgschaft und den Abgrenzungstypen des Kriechers, Feiglings oder Radikalantisozialen.
Der standardisierte Typus des Mädchens in den Halbstarkenfilmen ist ein Teenager mit viel „Sex“. Da die Jungen Hauptfiguren der Filme sind, fällt den Mädchen die Rolle einer dekorativen Beigabe zu, die in den Mußestunden der Helden zu Liebesspielen aktiviert wird. Die Garderobe variiert zwischen „lieblich kindlich“, „jugendlich burschikos“ und „fast erwachsen“, wie es weiter oben bereits beschrieben wurde.
Die Erwachsenen zerfallen in vier Darstellungstypen:
(1) Erwachsene, insbesondere Eltern und Lehrer der älteren Generation, in der Rolle von Versagern. Zank, Streit, Ehebruch oder das Festhalten an erstarrten Normen patriarchalischer Vergangenheit kennzeichnen ihre negative Rolle.
(2) Während die vorgenannten Erwachsenen wegen ihrer als menschlich dargestellten Schwächen an der Jugend schuldig werden, vergeht sich der zweite Erwachsenentyp auf Grund seiner antisozialen Verhaltensweise an der Jugend. Es ist der Berufsverbrecher, der Zuhälter, der Homosexuelle und der reiche Mädchenverführer.
(3) Das in der Entwicklung der Jugend Versäumte, Fehlgeleitete, Verdorbene macht die dritte Erwachsenengruppe wieder gut: Jugendrichter, Arzt, Fürsorger, Lehrer der jüngeren Generation.
(4) Die Opfer, die von den Jugendlichen überfallen, verprügelt, beraubt und bestohlen werden, bilden die vierte Erwachsenengruppe.
3.4.2 Typisierung der Handlung
Die Exposition zeigt die Halbstarken in einer für sie typischen Aktion und die Erwachsenen vom Typ (1) als die Urheber dieses jugendlichen Seins und Tuns.
Es gibt drei Arten, wie ein Konflikt angelegt wird:
[1] Die Bande, allen voran ihr Chef, tritt in eine Auseinandersetzung mit dem Abgrenzungstyp des Feiglings oder des Radikalen. Zu der Auseinandersetzung kommt es wegen des unterschiedlichen Verhaltens gegenüber der Erwachsenengruppe (4). Der Abgrenzungstyp verhält sich nicht so, wie es die Bande vorschreibt.
[2] Die Bande, insbesondere der Chef, wird durch Personen des Typus (3) zu einer Verhaltensänderung den Erwachsenen der Gruppe (4) gegenüber aufgefordert.
[3] Die Bande wird durch Erwachsene des Typus (2) zu Handlungen angeleitet, die nicht mit der von den Halbstarken erstrebten Art des Widerspruchs übereinstimmen.
Nachdem der Höhepunkt erreicht worden ist, sieht die Auflösung der jeweiligen Konfliktkonstruktion, wie folgt, aus:
Für [1]: Die Abgrenzungstype wird ermordet. Hier-durch gehen den Halbstarken die Augen auf für ihr verwerfliches Tun, so daß sie sich willig zwecks Sühne verhaften lassen.
Für [2]: Erwachsener (3) hat Erfolg mit seinen Bemühungen.
Für [3]: Entweder die Halbstarken können sich von Erwachsenentyp (2) frei machen oder sie gehen unter.
Die jeweiligen Handlungstypen finden sich auch in Mischformen. Vor allem Typ [3] vermischt sich öfters mit [1] oder [2].
3.5 Das „Unterschwellige“ in den
Filmen über Halbstarke
So wie den Personen und Handlungen der Wildwest- oder der Heimatfilme bestimmte unterschwellige Gefühle zugrunde liegen, und so wie Siegfried Kracauer diese Gefühle in den deutschen Filmen von 1920 bis 1933 aufgedeckt hat, so soll im folgenden der Versuch unternommen werden, der Gefühlslage von Gesellschaften ein wenig auf die Spur zu kommen, in den Halbstarkenfilme zum Genre geworden sind.
Dazu wagen wir einige Rückschlüsse aus dem Material der vorliegenden Arbeit. Da die Halbstarkenfilme nicht von Halbstarken, sondern von Erwachsenen gemacht werden, können sich die Rückschlüsse von diesen Filmen auf das Unterschwellige nur auf die Gesellschaft der Erwachsenen beziehen. Über die Jugend erhalten wir – entgegen den Behauptungen im Vorspann vieler Filme – nur Auskunft aus der Sicht der Erwachsenen.
Das Unterschwellige scheint uns bei den Erwachsenentypen für Typ (1) ein Schuldgefühl zu sein. Das Zusammenbrechen der traditionellen Ordnungen in den Katastrophen der jüngeren Vergangenheit, die Verwirrungen des letzten Weltkrieges finden hier Ausdruck im Versagen gegenüber der Jugend, der man keine akzeptable Ordnung zu bieten weiß. Das Unvermögen, somit einer Pflicht nicht nachkommen zu können, erhält selbstanklägerischen Ausdruck.
Im Typus (2) wird das Gefühl von Bedrohung wach. Der Verführer tritt auf. Auch hier scheint die Erfahrung aus der jüngsten Vergangenheit mitzuschwingen.
Die Typen (3) und (4) geben dem Wunsch der „Wiedergutmachung“ an der Jugend Ausdruck. Typ (3) ist der durch die Vergangenheit gewitzte Erwachsene einer Generation zwischen den Versagern und den Jugendlichen: Der junge Lehrer in „Blackboard Jungle“. Er macht das Unglück, das man angerichtet hat, wieder gut. In der Regel bedient er sich dabei wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere der Psychologie. Wir glauben, daß hier der Erwachsenentyp geschaffen wurde, der den Idealvorstellungen der heutigen Gesellschaft entspricht.
Seine Erfolge beruhen auf den Befunden der Wissenschaften vom Menschen. Diese machen es möglich, junge Menschen trotz der Geschehnisse einer dunklen Vergangenheit zu Normeinsichten zu bringen: Der letzte Mord findet beispielsweise in den Filmen der Amerikaner nicht statt; im Gegensatz zu deutschen Filmen, was wohl auf deutscher Katastrophengründlichkeit beruht.
Normeinsichten werden als notwendig vorausgesetzt in einer Zeit, in der die Naturwissenschaften die Bedrohung vernichtender Waffen geschaffen haben, die abzuwenden die Hoffnung aller ist. Typ (4) bestätigt, wenn er nicht zur Steigerung von Typ (3) ins Missionarische mit diesem in eine Person zusammengelegt wird, in seiner oft an Masochismus erinnernden Ausgestaltung die unter Typ (1) angedeuteten Schuldgefühle.
Das Unterschwellige in den Handlungstypen liegt für Typ [1] in einer Art Gärungsprozeß, den die Jugend stellvertretend für die Gesellschaft durchmacht und in dessen Verlauf über die Ausstoßung des Extremen, das sich diesem Entwicklungsprozeß entgegenstellt, die Läuterung herbeigeführt wird. Wir sehen hierin einen Glauben an das von Natur aus Gute im Menschen, insbesondere im heranwachsenden Menschen.
Im Handlungstyp [3] finden wir diese Anschauung des Typus (1) in jenen Fällen bestätigt, in denen der Erwachsenentyp (2) ohne Erfolg bleibt. Hat Typ (2) Erfolg, so kommt dieser Glaube in einer Umkehrung zum Ausdruck: Der Bösewicht kommt ums Leben. Handlungstyp [2] bringt die Schuldgefühle der Erwachsenen gegenüber der Jugend durch die Erduldung jugendlicher Straftaten und gelungene Wiedergutmachung zur Beruhigung.
Das „Erwachsen-Unterschwellige“ in der Darstellung der Halbstarken scheint auf den Wunsch und das Sehnen hinzudeuten, das Menschen haben, wenn sie sich in ihrer Umgebung nicht wohlfühlen. Daß die Jugendlichen sich mit technischen Dingen wie Autos geradezu selbstverständlich auskennen, weist darauf hin, daß die Erwachsenen ein ähnliches Gefühl der Technik gegenüber entbehren.
Daß die Jugendlichen in ihren Banden ein für sie absolut gültiges Normsystem errichten, scheint den Neid in ihrer Orientierung nicht so sicherer Erwachsener widerzuspiegeln, auch wenn sie das Wertesystem dieser Normen ablehnen. Daß die Jugendlichen mit sexuellen Tabus aufräumen, scheint trotz des mitunter auftretenden schwachen Versuchs einer Begründung solcher Tabus einem verwandten Drang bei den Erwachsenen zu entsprechen.