Übung 3: Eindeutigkeit der Sprache
Die geschriebene Sprache wird zu den unterschiedlichsten und vielfältigsten Zwecken benutzt. Beispielsweise haben Überschriften im Journalismus den Zweck, Leser anzulocken, Neugier zu wecken. Es werden Assoziationen provoziert, die einen Text attraktiv machen sollen. Leser in den Bann ziehende Überschriften formulieren zu können, gilt als eine besondere journalistische Fähigkeit. Kleine Blütenlese:
• Gaststudenten bei McDonald’s abgekocht;
• Menschenhändler aufgeflogen;
• Nashörner unter dem Hammer;
• Allianz muss 800 Millionen hinblättern;
• Firma presst Tote zu Trauer-Klunkern.
Eine andere journalistische Kunst ist, bereits in der Überschrift die wesentliche Information zu geben. Der eilige Leser hat den Nutzen. Ein weiterer Zweck kann sein, dem Leser eine Meinung zu suggerieren.
In meinem PC habe ich einige Online-Redaktionen anklickbar aufgelistet, um mich auf dem Laufenden zu halten. Allein der Vergleich der Headlines zu ein und demselben Thema, Ereignis oder Sachverhalt ist eine kleine Sprachstudie.
Im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Wortkombinationen herausgebildet. Ihre exakte Verwendung dient der Eindeutigkeit der Sprache. Wenn solche Kombinationen aus Unwissen oder dem falschen Ehrgeiz, in seinen Formulierungen kreativ zu sein, aufgelöst werden, wird Sprache undeutlich, geht das Sprachgefühl verloren — wenn es denn vorhanden war. Beispiele für ungenauen Sprachgebrauch:
• Ein uraltes Tabu wird entzaubert;
• Das Projekt wird in den Sand gefahren;
• Haben wir die richtigen Themen am Wickel?
Der zutreffende Sprachgebrauch für diese Beispiele: Tabus werden gebrochen, Projekte werden in den Sand gesetzt und am Wickel hat man etwas Lebendiges, beispielsweise einen Gauner.
In der folgenden Auflistung habe ich zusammengestellt, was mir beim Lesen eines Fachbuches, das bereits seine 10. Auflage erreicht hat, irgendwie gegen das Sprachempfinden ging. Da ist sicher subjektives Empfinden mit dabei. Sie können die Auflistung als Übung nutzen:
Stimmt etwas nicht?
Was stimmt nicht?
Was soll mitgeteilt werden?
Und wie ließe sich das sprachlich einwandfrei formulieren?
Die ausgewählten Passagen:
1. …einen Zwischenhalt einzuschalten…;
2. …Energieverschleiß ;
3. …setzt nicht …den ausschlaggebenden Impuls…;
4. …pfannenfertige Konzepte…;
5. …die Kosten tief zu halten…;
6. …den gordischen Knoten durchschnitten…;
7. …Danach ist das Klima versaut…;
8. …nicht entdeckte Unwuchten im Beziehungsgefüge…;
9. …zwei Fliegen auf einen Streich…;
10. …emotionale Spannungen können laufend behoben werden…;
11. …ihre Ungehaltenheit…;
12. …Wo und wie sind die “heiligen Kühe” versteckt?;
13. …In dieser Phase ist Sorgfalt oberste Bürgerpflicht…;
14. …die wichtigsten Faustregeln…;
15. …ein nackter Tatbestand… .
Jedem unterlaufen sprachliche Fehler; jeder vergreift sich schon mal im Ausdruck; jeder verstößt gelegentlich gegen Sprachregeln. Deshalb ist es wichtig, seine Fähigkeiten, mit Sprache umzugehen, ständig zu verbessern — perfekt wird man nie.
Wegen der Fülle des Lesestoffs wurden speziell für zeitknappe Leute wie Manager und Politiker Methoden des Schnellesens entwickelt. Sie zu beherrschen, ist hilfreich. Aber genauso beherrschen sollte man das genaue Lesen. Dieses wird als “aktives Lesen” zu einer Vorstufe jeglicher Übung zur Verbesserung des Sprachvermögens.
Auch lernt man durch aktives Lesen, Autoren auf die Schliche zu kommen. Die drücken sich nämlich schon einmal um eine klare Aussage herum, scheuen sich bisweilen Ross und Reiter zu nennen, bevorzugen ungenaue Formulierungen und bieten statt dessen Ausdrücke an, die für die Vorurteile des Lesers projektionsoffen sind. Keiner — so das Kalkül — wird sich beispielsweise einem “vernünftigen” Argument verschließen. Was “vernünftig” ist, darf der Leser selbst bestimmen. Der Autor verrät nicht, was er unter “vernünftig” versteht. Dann heißt es:
• der gesunde Menschenverstand;
• durch kluge Anpassungs- und Entwicklungsstrategien;
• vernünftige Betrachtungsweise;
• echte Lösung, ein echtes Bedürfnis;
• an und für sich gute Projektergebnisse.
Solche Formulierungen sind im Gespräch durchaus akzeptabel, wenn sie nicht stereotyp verwandt werden. Man kann dann nachfragen, um es genauer zu erfahren. Beim aktiven Lesen sollte man sich solche Stellen markieren sowie seine Fragen und Vermutungen daneben schreiben.