Handelsunternehmer als Pioniere der Globalisierung
Fragen an Utho Creusen, Senior Advisor für mehrere internationale Handelsunternehmen. Honorarprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Paul Halbe: Ein Kernelement der Sozialen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Die Vorteile des internationalen Wettbewerbs nutzen seit jeher die Handelsunternehmen. Sind Handelsunternehmen die Pioniere der Globalisierung?
Utho Creusen: Man kann Handelsunternehmen durchaus als Pioniere der Globalisierung bezeichnen. Handel setzt immer Kommunikation voraus. Handelsunternehmen sind kulturschaffend, da sie den Kontakt und die Kommunikation zwischen Menschen, Bevölkerungsgruppen und Gesellschaften herstellen. Der Handel agiert als Motor, Waren außerhalb des eigenen Umfelds zu vertreiben – historisch geschah das zunächst nur innerhalb eines Dorfes, dann innerhalb eines Landes und schließlich global. Viele Handelsunternehmen vernetzen uns heute weltweit und fördern somit die Globalisierung.
Paul Halbe: Welche Fähigkeiten muss ein Handelsunternehmer im Unterschied zu einem Produzenten haben?
Utho Creusen: Ein Händler muss stark kundenorientiert arbeiten. Erforderlich sind zudem ein Höchstmaß an Flexibilität und Schnel-ligkeit. Handelsunternehmer arbeiten eher nach dem Prinzip ‚try and error‘ oder ‚try and fix it‘, es wird erst einmal ausprobiert. Stellt sich der Erfolg ein, wird weitergemacht. Kauft der Kunde nicht, wird schnell reagiert. Daher müssen Handelsunternehmer und deren Mitarbeiter andere Talente als Produzenten haben. Diese denken viel langfristiger. Daher ergibt der Online-Talente-Test ‚Clifton Strengths Finder‘ häufig, dass Handelsunternehmer “Arranger” sind, das heißt, sie sind in einem besonderen Maße anpassungs- und multitaskingfähig.
Paul Halbe: Man sagt, Handel könne friedenstiftend wirken. Welche Voraussetzungen müssen dazu erfüllt sein?
Utho Creusen: Wenn Menschen miteinander kommunizieren – und das müssen sie, wenn sie einen Handel eingehen wollen – ist das zumindest der erste Schritt zu einem friedvollen Miteinander. Voraussetzung dafür ist, dass gewisse interkulturelle Grundwerte respektiert und eingehalten werden. Dazu gehören zum Beispiel die Kundenorientierung und ein fairer Austausch zwischen den Handelspartnern. Kein Handelspartner sollte übervorteilt werden. Ungleiche Tauschverhältnisse führen immer zu Qualitätsmängeln.
Paul Halbe: Welche Formen von Protektionismus hemmen heute den Handel?
Utho Creusen: Da gibt es viele Formen. Beliebt sind die Restriktionen bei Standortgenehmigungen. Die Dauer und Komplexität von Genehmigungsverfahren einzelner Länder erreicht schon Züge von Protektionismus.
Paul Halbe: Was sind typische Ideen, aus denen große Handelsunternehmen hervorgegangen sind?
Utho Creusen: Eine revolutionäre Idee des vorletzten Jahrhunderts war, die Preise für Waren nicht mehr zu verhandeln, sondern einen Fixpreis per Etikett auszuzeichnen. Die Abläufe wurden dadurch extrem vereinfacht, es gab eine größere Klarheit. Daraus sind die Warenhäuser entstanden.
Eine weitere Idee war die der Selbstbedienung. Anfangs nur von Einzelhändlern genutzt, gibt es sie heute in nahezu allen Bereichen, von der Tankstelle bis zum Bankautomaten. Heute ermöglichen Self-Check-Out-Systeme Kostenersparnisse, verkürzen Wartezeiten und erhöhen die Bequemlichkeit und Verfügbarkeit. Eine andere Frage ist, ob jeder Kunde dies positiv bewertet.
Aus der Idee, die Sortimente zu reduzieren und durch hohes Volumen pro Artikel niedrige Preise anbieten zu können, sind die Discounter entstanden. Eine weitere Idee ist das E‑Commerce, also der Verkauf von Waren über das Internet. Daraus sind unter anderem Amazon und Ebay entstanden. Der Versandhandel war bereits eine Vorform dieses Distanzhandels.
Paul Halbe: Was ist bei Quelle/Karstadt schief gelaufen, so dass es zur Insolvenz gekommen ist?
Utho Creusen: Als ehemaliges Aufsichtsratsmitglied möchte ich mich zu dieser Frage nicht näher äußern. Ganz allgemein lässt sich aber sagen, dass ein Handelsunternehmen sich in angemessener Zeit Kundenbedürfnissen anpassen muss. Gelingt dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht, muss mit entsprechenden Konsequenzen gerechnet werden.
Paul Halbe: Warum ist es OBI nicht gelungen, in China Fuß zu fassen?
Utho Creusen: China ist ein sehr schwieriger Markt, kein Händler sollte die Kreativität und Handelstalente der Menschen dort unterschätzen. Chinesen lernen und adaptieren schnell Neues. Jeder, der dort aktiv werden will, muss mit einem starken Wettbewerb rechnen.
Darüber hinaus ist China nicht gleich China. Das Land ist riesig und weist enorme regionale Unterschiede auf. Viele westliche Unternehmen unterschätzen diese Diversität und können sich nicht in ausreichendem Maße an regionale Kunden- und Konsumbedürfnisse anpassen. Der Schlüssel zum Erfolg ist eine geeignete Partnerschaft mit einem lokalen Partner, der den regionalen Markt und die Kundenbedürfnisse gut kennt. Aber auch Partnerschaft will gelernt sein.
Paul Halbe: Wer das Risikokapital eines Unternehmens stellt, will auch das Sagen haben. Insbesondere wenn es darum geht, schnell Entscheidungen zu treffen und diese in die Tat umzusetzen. Welcher Führungsstil wird einer solchen Einstellung am ehesten gerecht?
Utho Creusen: Ein Unternehmer, der meint, nur weil er das Kapital stellt, müsse er auch immer Recht bekommen, befindet sich auf dem Holzweg. Langfristiger Erfolg gelingt nur durch die Einbindung von Know How und Kreativität der Partner und Mitarbeiter. Untersuchungen zeigen, dass dies nicht zu Lasten der Schnelligkeit gehen muss und die Qualität der Entscheidungen erhöht. Und darum geht es einem Investor doch.
Paul Halbe: Ist der Kunde für den Handel wirklich „König” oder nicht eher eine „dumme Gans”, die sich mit Tricks hinters Licht führen und mit Raffinesse manipulieren lässt? Brauchen wir einen verstärkten Verbraucherschutz?
Utho Creusen: Ich glaube an die Intelligenz der Kunden und Konsumenten. Kurzfristig lässt sich vielleicht ein wenig tricksen, langfristig jedoch wird ein solches Verhalten für ein Unternehmen nicht gut gehen können. Unternehmen, die es versäumen, Vertrauen und somit Kundenbindung aufzubauen, sind schnell wieder vom Markt verschwunden. Im Handel werden Fehler sehr schnell bestraft.
Paul Halbe: Handelsunternehmen sind in hohem Maße werbe-aktiv. Bei manchen Firmen hat man den Eindruck, dass es ihnen einzig und allein darum geht, mit ihren Kampagnen aufzufallen. Man spricht von aggressiver Werbung. Wie beurteilen Sie ein solch schrilles Marktverhalten? Sind das die Marktschreier von heute?
Utho Creusen: Wer laut ist, hat die Kunden, die er mit diesem Verhalten erreicht. Es gibt Händler, die glauben, dass sich in Zeiten eines Informations-Überflusses viele Konsumenten nur noch durch laute und preis-aggressive Werbung zum Kauf bewegen lassen. Aber auch hier gilt, dass laut sein allein wenig erfolgversprechend ist. Langfristig gilt es, Vertrauen und Kundenbindung aufzubauen.
Paul Halbe: Der Handel muss sich wie kein anderer Wirtschaftszweig auf den Wandel der Zeit einstellen. Da schützt auch die Größe nicht vor Pleite. Welchen Handelsformen gehört die Zukunft?
Utho Creusen: Der Multichannel-Handel wird eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen müssen Angebote sowohl im Internet als auch im stationären Handel bereitstellen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Um dauerhaft überleben zu können, ist zudem Serviceorientierung notwendig. Die demografische Alterung der Bevölkerung verstärkt diesen Trend. Zudem suchen die Konsumenten vermehrt gesunde und nachhaltige Produkte. Diese Anforderungen gelten für kleine Unternehmen ebenso wie für große, sie müssen anpassungsfähig bleiben.
Creusen: 2010