Die Voraussetzung dauerhaften Friedens: Versöhnung
Fragen an Dr. Friedrich Kronenberg über Erinnern und Versöhnen nach den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. Kronenberg war CDU-Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sowie Präsident des Maximilian-Kolbe-Werkes.
Paul Halbe: Die Versöhnung der Völker Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ist keine Selbstverständlichkeit. Dies gilt insbesondere für Völker wie die Polen und die Deutschen. Auf Initiative deutscher Katholiken wurde 1973 das Maximilian-Kolbe-Werk gegründet. Später wurde die Maximilian-Kolbe-Stiftung errichtet. Was ist die Aufgabe dieser Stiftung?
Friedrich Kronenberg: Aufgrund der Erfahrungen im Maximilian-Kolbe-Werk wollen wir – polnische und deutsche Katholiken – den Gedanken und das Bemühen von und um Erinnerung und Aussöhnung auf die Völker Europas insgesamt ausweiten. Denn nur wenn uns präsent ist, was Völker einander antun können und angetan haben, wird der Geist in Europa gestärkt, der Europa vor den Fehleinstellungen der Vergangenheit und vor egoistischem nationalstaatlichen Denken und Handeln bewahrt. Christen aller Konfessionen und alle Menschen guten Willens bitten wir, sich an den Werken der Versöhnung aus der Kraft der Erinnerung zu beteiligen.
Paul Halbe: Was sind Werke der Versöhnung?
Friedrich Kronenberg: Programme und Projekte, die wir durchführen oder fördern wollen, sind unter anderen
Ø die europäische Sommerbegegnung in Sarajewo;
Ø die Pflege sowjetischer Kriegsgräber in Deutschland durch russische, weißrussische, ukrainische und deutsche Jugendliche;
Ø Friedensschulen im Kaukasus (Rostow am Don, Sotschi, Naltschik);
Ø Besinnungstage im Zentrum für Dialog und Gebet in Auschwitz;
Ø sogenannte Enkelprojekte, in denen die Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Krieg den Folgegenerationen vermittelt wird.
Als erstes Projekt für das Jahr 2009 bereiten wir einen europäischen Friedenszug mit Jugendlichen aus verschiedenen Ländern von Auschwitz über Warschau nach Berlin vor. Wir wollen anknüpfen an der in unserem historischen Gedächtnis tief verwurzelten Erinnerung an die ungezählten Eisenbahnzüge, die Menschen in das Vernichtungslager Auschwitz/Oswiecim transportiert haben. Die Umkehrung der Fahrtrichtung verdeutlicht den Kern jeglicher Versöhnungsbemühung: die Bereitschaft zur Umkehr, ohne die der Wille zur Versöhnung folgenlos bleibt. Die Erinnerung an die Züge in den Tod soll Friedenszüge junger Menschen in Fahrt bringen, deren Ziel das Leben ist, das Leben in einem freien und geeinten Europa.
Paul Halbe: Wer war Maximilian Kolbe, der Namensgeber der Stiftung?
Friedrich Kronenberg: Maximilian Kolbe war polnischer Franziskaner-Pater. Er war Häftling im Konzentrationslager Auschwitz. Um einem seiner Mithäftlinge, einem Familienvater, das Leben zu retten, ist er an seiner Stelle in den Tod gegangen.
Paul Halbe: Warum darf es kein Vergessen geben?
Friedrich Kronenberg: Weil Gegenwart und Zukunft immer aus der Vergangenheit heraus sich gestalten. Auch wenn es keine Kollektivschuld gibt, so gibt es doch eine Verantwortung, die aus Schuld im Zusammenhang mit der eigenen Herkunft resultiert. Wenn man sich der Schuld in der Vergangenheit nicht stellt, wirkt sie bedrängend in Gegenwart und Zukunft fort. Nur durch Versöhnung wird Schuld getilgt.
Paul Halbe: Leben noch ehemalige Auschwitz-Häftlinge, die sich an Maximilian Kolbe erinnern?
Friedrich Kronenberg: Vermutlich nicht. Der letzte Mithäftling von Maximilian Kolbe, der sich gemeinsam mit uns aktiv für Versöhnung eingesetzt hat, ist vor einiger Zeit im Alter von 86 Jahren gestorben. Seine Worte sind für uns Programm: “Durch Pater Kolbe lernte ich, Auschwitz mit anderen Augen zu sehen. In einem Todes- und Vernichtungslager, in dem viele nur sich selbst retten wollten, sah ich plötzlich gute Menschen, die sich für andere einsetzten, frei von Egoismus.” Und: “Wenn Hass sich in Liebe verwandelt, entsteht Frieden.” Wie weit wir von diesem Frieden noch entfernt sind, das machen uns die Konflikte von heute jeden Tag mit grausamen Bildern deutlich.
Kronenberg: 2009