Wann Psychologen helfen können
Die Komplexität unserer Gesellschaft, die rasanten Veränderungsprozesse und die weltweiten Auswirkungen menschlichen Handelns machen immer mehr Leuten zu schaffen. Sie suchen Rat, Orientierung und konkrete Hilfestellung bei Dienstleistern, die kompetent Einsichten und Erfahrungen vermitteln, wie sich heute das Leben meistern lässt.
Fragen an Iris Zukowski, freiberuflich tätige Psychologin in den Bereichen Beratung, Training, Coaching und integrative Therapie.
Paul Halbe: Mit welchen Problemen kommen Menschen zu Ihnen?
Iris Zukowski: Die Probleme sind vielfältig. In den letzten Monaten gab es auffällig viele Burnout-Fälle, Angst- oder Panik-störungen und Beziehungsprobleme.
Paul Halbe: Was erwarten Ihre Kunden/Patienten von Ihnen?
Iris Zukowski: Meine Klienten erwarten vor allem eine individuelle Unterstützung in einem ganzheitlich orientierten psychologischen Rahmen. Das kann eine lösungsorientierte Krisenintervention in Form eines Coachings oder einer Hypnosesitzung sein oder eine längerfristige therapeutische Begleitung.
Paul Halbe: Kommen mehr Frauen oder Männer?
Iris Zukowski: In meiner Praxis ist der Anteil an Frauen etwas höher. Frauen zeigen tendenziell weniger Hemmschwellen, sich entsprechende Unterstützung zu holen. Männer suchen häufiger lösungsorientierte Einzelsitzungen. Gegen Hypnosesitzungen haben sie oft Vorbehalte. Sie fürchten, die Kontrolle zu verlieren.
Paul Halbe: Gibt es unter den psychischen Erkrankungen so etwas, was man mittlerweile als „Volkskrankheit“ bezeichnen könnte?
Iris Zukowski: Als „Volkskrankheit“ möchte ich kein Störungsbild bezeichnen. Fast jeder erlebt irgendwann einmal in seinem Leben eine psychische Krise, beispielsweise eine Depression. So wie wir alle hin und wieder mal eine Grippe bekommen. Störungsbilder wie das Burnout-Syndrom oder Angst- und Panikstörungen sind aber deutlich auf dem Vormarsch.
Paul Halbe: Stammen die Probleme mehr aus der beruflichen Tätigkeit oder aus privaten Schwierigkeiten?
Iris Zukowski: Sowohl als auch. Da der Druck in allen Arbeitsbereichen der Gesellschaft wächst, gibt es immer häufiger psychische Störungen, die aus diesem Druck resultieren. Geht man tiefer, kann man sagen, dass vielen Menschen die psychischen Werkzeuge fehlen, mit Druck oder schwierigen Lebenssituationen angemessen umzugehen. Das wirkt sich dann auch auf den privaten Bereich aus. Wenn es im Beruf nicht gut läuft, leidet meistens auch die Ehe. Alles ist miteinander verbunden. Tendenziell sind viele Deutsche perfektionistisch eingestellt und haben häufig keinen guten Zugang zu ihren Gefühlen.
Paul Halbe: Lassen sich besondere Lebensphasen beschreiben, in denen Menschen besonderen psychischen Gefahren ausgesetzt sind?
Iris Zukowski: Ich möchte nicht von psychischen Gefahren sprechen. Es gibt Lebenskrisen, die aber letztlich dazu dienen, dass wir persönlich wachsen und seelisch reifen. Eine wichtige Umstellungsphase scheint zwischen Ende Dreißig und Mitte Vierzig zu liegen. In dieser Lebensphase häufen sich Störungsbilder.
Paul Halbe: Was sind die Hauptbelastungen, die den Menschen heute zu schaffen machen?
Iris Zukowski: Einerseits ist es der hohe Anspruch, den viele an sich selbst stellen; andererseits ist es der Anspruch, den die Gesellschaft, vor allem die Arbeitswelt, an uns stellt. Von Bedeutung sind auch die globalen Veränderungen, die unvorstellbaren Katastrophen wie in Japan, Terroranschläge und sinnlose Kriege. Das verändert und belastet das Bewusstsein der Menschen kollektiv und individuell. Viele stellen sich Fragen: Ist mein Leben noch sicher? Werden meine Kinder auf diesem Planeten eine Zukunft haben?
Deshalb: Die Menschen müssen aktiv werden! Wer passiv die Schrecken dieser Welt vor dem TV-Gerät verfolgt, schadet seiner Gesundheit und seiner Psyche.
Paul Halbe: Was muss der Einzelne tun, um ohne Ihre Hilfe sein Leben bewältigen zu können?
Iris Zukowski: Er sollte sich selbst wahrnehmen und bewusst leben. Das setzt natürlich „Selbstkenntnis“ voraus, die viele leider nicht haben. Man sollte seine Belastungsgrenzen kennen, für den passenden Ausgleich sorgen und vor allem akzeptieren, dass sich Umstände und Gefühle im Leben verändern können. Mein Rat: Flexibel sein, Schwächen akzeptieren und neugierig bleiben, was das Leben zu bieten hat. Wer mit Veränderungen umgehen kann und die Dinge des Lebens nicht zu ernst nimmt, kann sein Leben „meistern“, nicht nur „bewältigen“.
Paul Halbe: Können Lebensperspektiven, die sich an Ziele, Vorbilder und Sinnhaftigkeit knüpfen, Halt und Zufriedenheit geben?
Iris Zukowski: Auf jeden Fall. Life with purpose – das ist essentiell. Wer keine Ideale, Ziele oder Werte im Leben verfolgt, ist ohne Halt und tieferen Sinn. Das ist ein Leben auf wackeligem Fundament. Der Glaube kann ebenfalls eine hilfreiche Kraft im Leben sein. Menschen, die glauben, bewältigen Krisen sicherer und haltvoller. Einen Sinn im Leben zu finden und zu schaffen, erhöht die Lebenszufriedenheit immens und gibt Kraft.
Paul Halbe: Welche psychischen Krankheiten werden im Elternhaus grundgelegt? Erziehungsfehler oder Versäumnisse? Trennung, Scheidung?
Iris Zukowski: Ich glaube nicht, dass es die vollkommen heile Kinderstube gibt. Eltern müssen lernen, ihre Unvollkommenheit zu akzeptieren. Da man sich die Kinder nicht aussuchen kann, gibt es immer in irgendeiner Form Reibungen und Konflikte, Missverständnisse und Fehler. Das kann man positiv sehen: Als Spezies wie als Individuum können wir uns so immer weiter entwickeln. Einfach ist Leben und Weiterentwicklung nie.
Ich orientiere mich an der buddhistischen Philosophie: Alles macht Sinn – auch die Schwierigkeiten, in die wir hineingeboren werden. Es geht letztlich immer um die Reifung und das Wachstum unserer Seele. Alles, was einem Menschen an Schwierigkeiten im Leben begegnet, liegt im Rahmen seiner Möglichkeiten. Scheidungen, also die Trennung der Eltern, hinterlassen ebenso Spuren auf der Kinderseele, wie plötzliche Todesfälle, Missbrauch, Lieblosigkeit oder ein erhöhter Leistungsdruck im Elternhaus.
Einschränkend gilt für meine Arbeit: Psychische Krankheiten sind nicht mein Einsatzgebiet. Dazu zählen Psychosen, Schizophrenie und psychopathische Persönlichkeitsstörungen, die im Elternhaus ihre Ursache haben, beziehungsweise dort unter bestimmten Voraussetzungen ausgelöst werden.
Paul Halbe: Und welche Störungen können in Kinderkrippen, Kitas und Schulen verursacht werden?
Iris Zukowski: Überall können Störungen verursacht werden, wo Erwachsene lieblos und ohne Einfühlungsvermögen mit Kindern umgehen.
Paul Halbe: Welche Rolle spielen die Medien bei der psychischen Verfassung von Menschen?
Iris Zukowski: Mittlerweile spielen die Medien eine große Rolle. Sie sind ein ständiger Angstfütterer, speisen unerreichbare Vorbilder in die Köpfe der Zuschauer und verbreiten Gewaltvorbilder. Das ist besonders für unsere Kinder gefährlich.
Paul Halbe: Wie entstehen Kommunikationsschwächen und wozu können sie führen?
Iris Zukowski: Da ist eine generelle Antwort nicht angemessen. Die Ursachen sind vielfältig. Es gibt introvertierte Persönlichkeiten, Menschen, denen ein freies Auftreten und Sprechen schwer fällt. Es gibt auch Lebensereignisse, die derart verunsichert haben, dass eine freie Kommunikation nicht mehr möglich erscheint, etwa Peinlichkeiten als Schüler an der Tafel oder die Kritik eines strengen Vaters. Viele Menschen blockieren sich zudem selbst, beispielsweise durch ihren Hang zum Perfektionismus. Generell: Es wird zu wenig geredet – vor allem in Beziehungen – und es wird zu viel TV konsumiert.
Paul Halbe: Führungspersonen sind in der Regel in einer „Sandwich“-Position: Sie haben ihrerseits Chefs und sind andererseits Vorgesetzte. Was ist notwendig, um in einer Führungsposition dauerhaft zu bestehen?
Iris Zukowski: Authentisch sein! Werte definieren und sich an dem orientieren, woran man glaubt und wofür man einsteht. Man sollte Fairness und Leistungsmotivation mitbringen und das, was man tut, gern tun. Dann klappt es sowohl „nach unten“ als auch „nach oben“. Und wer Hilfe braucht, sollte sich nicht scheuen, sich hin und wieder Unterstützung von einem guten Coach zu holen. Auch Entspannung ist wichtig. Damit meine ich: Immer wieder in die eigene Mitte finden!
Paul Halbe: Welche Ursachen hat Mobbing?
Iris Zukowski: Neben dem klassischen Konkurrenzkampf und Konkurrenzdruck, liegen Mobbingproblematiken oft tiefer. Das Mobbing spiegelt häufig ein unbewusstes Selbstwertthema wider, das in dem Betroffenen liegt und im Außen – unbewusst – Resonanzen erzeugt.
Paul Halbe: Ist die Doppelbelastung von Beruf/Karriere und Partnerschaft/Familie ein allgemeines oder ein gelegentliches Problem?
Iris Zukowski: Ein generelles Problem! Doppel-Belastungen sind immer ein Problem!
Paul Halbe: Wie wirkt sich Beziehungsstress aus?
Iris Zukowski: Negativ. Stress schwächt das Nervensystem und damit Körper und Psyche.
Paul Halbe: Welche Unterschiede bestehen zwischen den Männern und den Frauen, denen Sie helfen?
Iris Zukowski: Ich sehe jeden, egal ob Mann oder Frau, vor allem als Individuum mit einem individuellen Anliegen und darauf stimme ich meine Interventionen ab. Generalisierungen mag ich zwar nicht so gern, dennoch kann man sagen, dass Frauen mehr Kompetenzen hinsichtlich ihrer Gefühle und deren Wahrnehmung mitbringen. Männer sind tendenziell eher rationale „step-thinker“, Frauen eher gefühls- und beziehungsorientierte „empathic-thinker“.
Paul Halbe: Kommen Menschen mit religiösen Problemen zu Ihnen?
Iris Zukowski: Eher selten. Es gibt aber immer mehr Menschen, die einen spirituellen Anspruch haben.
Paul Halbe: Gibt es Fälle, in denen Sie mit Ihren Möglichkeiten nicht helfen können?
Iris Zukowski: Es gibt durchaus Fälle, wo ich der Meinung bin, dass ein Kollege besser helfen könnte. Nicht jeder Therapeut/Coach ist für jeden geeignet, es muss zwischenmenschlich passen.
Zukowski: 2011