Im Stresskäfig des Gruppenzwangs
Erwartungen bestimmen nicht nur Aktienkurse
Wir leben alle in einem Geflecht von Erwartungen: gegenüber Verwandten, Partnern, Freunden, Kollegen, auch gegenüber Menschen, die wir gar nicht kennen, wie Politikern, Verkäufern, Urlaubsveranstaltern, Journalisten und vielen anderen. Und die alle haben ihrerseits Erwartungen uns gegenüber.
Außerdem haben wir Erwartungen an uns selbst. Jede Erwartung kann enttäuscht werden. Wem es nicht gelingt, die eigenen wie die fremden Erwartungen wirklichkeitsnah und dem Leben Sinn gebend auszugestalten, findet nicht zu einem selbstbestimmten Verhalten, das ihn seine Freiheit verantwortungsvoll nutzen lässt.
Der leichtfertige und willfährige Umgang mit Erwartungen führt zu einem ständigen Druck. Erzeugt wird er von Chefs, Partnern, Kollegen, Konkurrenten und all den anderen, die von uns etwas verlangen – und wir von uns selbst. Wir wollen beachtet, anerkannt und erfolgreich sein, wir wollen geliebt werden. Falsche Erwartungen haben oder erfüllen wollen, macht unglücklich. Aufgrund der vielen Enttäuschungen.
Motivieren ist besser, als ständig Druck machen
Mit den Erwartungen fängt es schon früh an. Eltern erwarten von ihren Kindern ein bestimmtes Verhalten. Erzieher und Lehrer versuchen, Kinder und Jugendliche zu Verhaltensweisen zu veranlassen, die ihren persönlichen Vorstellungen entsprechen. Die Pubertät ist die Lebensphase, in der sich der junge Mensch von den Erwartungshaltungen der Erwachsenen zu befreien sucht. Das gelingt, wenn die Erwachsenen klug sind, sich zurückzunehmen und auf autoritäres Verhalten verzichten und statt dessen Vorbild geben, Wissen und Argumente vermitteln.
Doch viele Eltern, Ausbilder, Meister und Professoren verstehen es nicht, wohlwollend zu motivieren, sie erzeugen lieblosen Leistungsdruck. Ganze Prüfungssysteme sind so aufgebaut. Wer diesen Anforderungen nicht gewachsen ist, bleibt auf der Strecke. Abbruch der Lehre oder des Studiums. Wer dank seiner intellektuellen Fähigkeiten und charakterlichen Stabilität durchkommt, erlebt bei seiner Jobsuche erneut: Von ihm wird einiges erwartet.
Gruppen erzeugen Konformitätsdruck
Jugendliche tun sich meistens in Gruppen Gleichalteriger zusammen. Je homogener eine Gruppe ist, umso mehr werden Hinzukommende mit Erwartungshaltungen konfrontiert. Wer dazu gehören will, muss Bedingungen erfüllen. Die Akzeptanz der Gruppe erfährt nur, wer sich einordnet. Das kann auf Abwege führen, wenn sich Jugendliche zusammenfinden, die in der Gruppe Halt vor dem Anforderungsdruck der Erwachsenen suchen. Ein anderes Suchen nach Halt – wenn es beispielsweise an Bindungsfähigkeit fehlt – ist die Flucht in Phantasiewelten. Doch irgendwann kommt der unerbittliche „Ernst des Lebens”.
Spätestens beim Eintritt ins Berufsleben wird jeder wieder mit Erwartungen konfrontiert. Die Erfüllung der fachlichen Anforderungen genügt nur selten. Arbeitgeber checken auch, ob Fähigkeiten wie strukturiertes Arbeiten und kommunikatives Verhalten zu erwarten sind. Und es gibt noch weitere Erwartungen, die in der Probezeit deutlich werden: Vorgesetzte und Kollegen beobachten genau, ob „der Neue” in die Gruppe passt, ob die Chemie stimmt.
Erwartungen nicht übersteigern!
Erwartungen gehören zum Leben. In unseren Erwartungen spiegeln sich gleichermaßen das Vertrauen in unsere Fähigkeiten, mit den Herausforderungen der Welt umgehen zu können, als auch die Lebenserfahrung, die aufgrund erfüllter wie enttäuschter Erwartungen sich herausbildet. Beides lässt sich durch eine bewusste Lebensgestaltung forcieren.
Es geht um Selbsterfahrung. Was steckt in mir? Was unterfordert, was überfordert mich? Das zu wissen, ist zum Beispiel in einem Mitarbeitergespräch mit Zielvereinbarungen von entscheidender Bedeutung. Denn dort werden Erwartungen besprochen und aufeinander abgestimmt. Je besser der Realitätssinn sowohl des Mitarbeiters wie des Vorgesetzten entwickelt ist, umso größer sind die Chancen, die gesteckten Ziele zu erreichen, die eigenen wie die fremden Erwartungen zu erfüllen.