Warum Rituale?
Junge Erwachsene kommen – zumindest für einige Zeit – zu der Ansicht, die umgebenden Traditionen mit ihren Ritualen seien inhaltslos, entbehrten eines Sinns, stellten nur Fassaden dar. So manches Paar, das dauerhaft zusammen leben möchte, verachtet Hochzeitsfeiern als Folklore, sieht seinen Entschluss zur Zweisamkeit als Privatsache an. Das ganze Brimborium einer Hochzeit, womöglich noch kirchlich – nein danke.
Aber irgendwann machen die Lebensumstände bewusst: Wir brauchen Gemeinschaft. Der Hochmut, sein Leben emanzipiert in individueller Selbstherrlichkeit gestalten zu können, ist verflogen. Es werden Gleichgesinnte gesucht. Und ganz selbstverständlich werden auf einmal Einstellungen und Rituale angenommen. Denn sie dienen sowohl der persönlichen Entlastung wie dem Bestand einer Gruppe.
Feiern macht nur in Gemeinschaft Spaß. Wird Gemeinschaft als Lebensbezug empfunden, werden auch „freudige Ereignisse” Anlass zu ritueller Feierlichkeit. Dem Ereignis soll Bedeutung und Glanz verliehen werden. Event-Designer kommen zum Zug. Ein besonderer Ort wird gewählt, eine angemessene Dekoration geschaffen, ein Programm zusammengestellt. Es soll „unvergesslich” sein.
Abhanden gekommen sind vielen von uns indes die Rituale des Trauerns. Gerade sie haben jedoch den Sinn, vor psychischer Überforderung zu bewahren. Bei schlimmen Unfällen kommen heute daher Psychologen zum Einsatz. Früher waren es Priester und Gemeinden, die Trost spendeten und Halt gaben. Mit Gebet, Gesang, Trauerkleidung, Tanz, Gesten, Fasten. Man war nicht allein, die Gemeinschaft trug einen.
Für das Zusammenleben von Menschen sind Rituale unverzichtbar. Sie entwickeln sich auch in Unternehmen: Zusammen arbeiten, zusammen feiern. Manche Firmenchefs machen daraus eine Firmenkultur. Da muss man prüfen, ob man sich mit den Wertvorstellungen, die dahinter stecken, identifiziert. Und man sollte sich fragen, ob Manipulation im Spiel ist, wenn die Rituale als Leistungsanreize gedacht sind, die Eitelkeit und Prestigebedürfnisse bedienen.