Gefährliche Menschen
In der Regel fällt es einem erst hinterher wie Schuppen von den Augen: Man hat dazu beigetragen, die falsche Person in Politik und Gesellschaft an die Macht zu bringen. Oder im Privaten: Man hat dem oder der Falschen sein Vertrauen geschenkt. Manches Idol entpuppt sich im Nachhinein als Scharlatan. Doch dann ist es oft zu spät zur Umkehr. Zu viel hat sich schon ereignet – bis hin zur Katastrophe. Das Unheil, das gefährliche Menschen anrichten, kann sich sowohl im persönlichen Bereich des Einzelnen abspielen als auch zum Verhängnis für ganze Völker werden. Die Deutschen haben es erfahren.
Gefährliche Menschen sind perfekte Verführer. Sie schaffen es, ihre Schattenseiten unsichtbar zu machen. Sie blenden mit Liebenswürdigkeit, mit überzeugenden Versprechungen, mit plausiblen Erklärungen, mit klaren Handlungsweisen, mit brillanter Rhetorik, mit makellosem Auftreten. So finden sie schnell Gefolgschaft, die ihren Einfluss verstärkt. Es wird schwer, sich ihnen zu entziehen. Man wird vereinnahmt, wird abhängig gemacht und vor den Karren gespannt. Es gibt keinen anderen Orientierungshorizont mehr. Im Privaten sagt man: Liebe macht blind.
Es ist der Realitätsverlust, das Aufheben der kritischen Distanz, was so gefährlich ist. Wenn nachher alles in Schutt und Asche liegt, eine Beziehung sich in Tränen auflöst, fragt sich manch einer voller Selbstvorwürfe: Wie konnte ich nur? Andere können auch dann noch nicht glauben, dass sie sich geirrt haben. Es wird auf die überzeugenden Umstände verwiesen. Sich in einem Menschen getäuscht zu haben, den man idealisiert hat, ist vielen als Einsicht unmöglich. Das Idol lebt als Lebenslüge weiter – im politischen Leben eines Volkes rechts wie links.
Gefährliche Menschen bauen mit ihren Gefolgsleuten ein allmächtiges Milieu auf: Symbole werden zur Identifikation und zur Repräsentation eingesetzt; mit Abzeichen- und Ordensverleihungen wird die Zugehörigkeit gefestigt; Fahnen, Maskottchen und Hymnen lassen die Gefühle höher schlagen; Rituale der Verbundenheit werden eingeübt; Sprachregulierungen bis hin zu geheimen Bedeutungen schweißen zusammen und verleihen Elite-Gefühle; gleichgeschaltete Anreden und festgelegte Gesten beispielsweise zur Begrüßung machen den Gruppenzwang allgegenwärtig – und anderes mehr. Wer sich auf solche Vereinnahmung eingelassen hat, für den gibt es kaum noch ein Entrinnen. Deshalb ist die Früherkennung so wichtig!
Woran lässt sich ein gefährlicher Mensch erkennen? Dazu muss man sich selbst beobachten und daraus Schlüsse ziehen können. Je weiter die eigene Persönlichkeitsentwicklung fortgeschritten ist, ein persönlicher Verständnis- und Orientierungshorizont geschaffen wurde, umso sicherer ist man, wenn es darum geht, frühzeitig zu erkennen, mit wem man es zu tun hat, wer einen da in seinen Bann zieht. Was im Gange ist, lässt sich an Punkten wie diesen feststellen:
- Wird eine heile Welt in Aussicht gestellt?
- Bin ich in Versuchung, meine bisherigen Grundsätze und Verhaltensregeln aufzugeben?
- Lasse ich Handlungen zu, die ich bisher abgelehnt habe?
- Komme ich mir klein und unbedeutend vor, wenn ich mich mit dieser Lichtgestalt vergleiche?
- Drängt es mich, Tuchfühlung zu haben und zu den Gefolgsleuten zu gehören?
- Bin ich bereit, mich unterzuordnen? Keinen eigenen Willen mehr zu haben?
- Ertrage ich es nicht, in eine Außenseiterposition zu geraten, wenn ich nicht mitmache?
- Verteidige ich mein Idol gegenüber jeglicher Kritik?
Besonders gefährdet, den Demagogen, Verführern, Schmeichlern, Vitaltypen, Herzensbrechern, Gutmenschen auf den Leim zu gehen, sind einsame Menschen, charakterlich schwache Personen, Kleinmütige, Unmündige – alle, die sich nach Anerkennung sehnen, die Geborgenheit suchen und geliebt werden möchten. Sie lassen sich am ehesten vereinnahmen, sich in Besitz nehmen.
Was soll man tun, wenn man eine Person als gefährlichen Menschen erkannt hat? Sich ihrem Einfluss entziehen! Den Bannkreis ihrer Ausstrahlung schnell verlassen! Ihrem unwiderstehlichen Charme und ihren schlagenden Argumenten sich nicht aussetzen! Sich auf keinen Fall mit ihnen anlegen! Denn gefährliche Menschen sind in aller Regel Machtmenschen, die über die entsprechenden Mittel verfügen und sie rücksichtslos einsetzen. Das kann im Berufsleben zu harten Einschnitten bis hin zu einem Neuanfang führen. Schon manch hoffnungsvolle Karriere ist an der Macht eines gefährlichen Menschen gescheitert.
Nur wenige Menschen, die um ihre Faszination und Wirkung auf andere wissen, haben die Moral, ihre Fähigkeiten zu läutern. Sie ziehen sich immer wieder in die Einsamkeit zurück, wenn die Menge sie auf den Schild heben will. Man erkennt sie daran, dass sie die Würde und die Freiheit anderer Menschen nicht antasten.