Positive Psychologie – Glücklichmacher für das Diesseits?
Dem Zeitgeist der Wohlstandsgesellschaften folgend, wird heute Positive Psychologie angeboten. Damit wir nur noch gut drauf sind. Verhaltenspsychologen haben mittlerweile rund 50 Verfahren zur Verfügung, um Patienten aus einem Tief herauszuholen oder zufriedener zu machen. Die 68er und ihr Gefolge führten noch Transparente mit sich, auf denen zu lesen stand: „Hast im Leben schlechte Karten, musst Du auf das Jenseits warten.” Diese Vertröstung ist überholt. Man muss nur den Blick dauerhaft auf die positiven Dinge dieser Welt richten – so die Botschaft. Denn bekanntlich hat ja alles auch sein Gutes. Das Dumme ist nur: Die Kehrseite des Positiven ist durch das Betrachten allein der Vorderseite der Medaille nicht aus der Welt geschafft.
In der Wirtschaft platzen über kurz oder lang, wie wir mittlerweile wissen, die Träume eines illusionären Lebens. Politik, die solche Illusionen nährt, führt in den Katzenjammer. Denn die Märkte zwingen früher oder später in die Wirklichkeit zurück. Unternehmer, die nicht mit staatlichen Geldern im Risikofall rechnen können, pflegen deshalb auch die Rückseite der Medaille zu beachten. Um Kunden zu gewinnen, sind sie gerne bereit, psychologische Erkenntnisse zu nutzen. Aber ihre Mitarbeiter sehen sie nicht als Aufgabenfeld für Psychologen. Ihre Angestellten sollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht sich selbst zum Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns machen. Führungsleute wissen: Eine gewisse Unzufriedenheit kann sogar motivierend wirken, mehr als glückliches Ausgeglichensein.
Wir tun gut daran, uns wie Unternehmer auf die Wirklichkeit einzustellen. Die unangenehmen Seiten des Lebens lassen sich nicht ausblenden und auch nicht ins Positive uminterpretieren. Therapeuten – ob esoterisch angehaucht oder auch wissenschaftlich ausgebildet – haben nicht den Schlüssel zum „Geheimnis Mensch”, so dass sie uns dauerhaft glücklich machen könnten. Sie sind genauso irrtumsfähig, fehlerbehaftet, angsterfüllt, sehnsüchtig, sexualgestört, depressionsgefährdet und so weiter wie jeder andere auch. Deshalb: Wer sich in die Behandlung eines Therapeuten begibt, sollte Abstand halten und darauf bedacht sein, Herr des Verfahrens zu sein. Man darf die Verantwortung für sein Leben nicht aus der Hand geben.
Daher ist es verantwortungslos sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber zwecks Glücklichsein Illusionen zu nähren. Leben gelingt nur dem, der sich der Wirklichkeit stellt, unentwegt seinen Erkenntnis- und Erfahrungshorizont erweitert und nicht wegen seiner Fehler und Schwächen meint, ein therapiertes Leben führen zu müssen. Therapeuten sollten in Notfällen zum Einsatz kommen, nicht als ständige Wegbegleiter. Therapie als Heilverfahren ist für den angezeigt, der – selbst oder fremd verschuldet – seine Freiheit eingebüßt hat, sein Leben nicht mehr eigenverantwortlich führen kann. Ihm kann Therapie wieder auf die Beine helfen – kann, wenn er an einen guten Therapeuten gerät. Dieses „gut” ist Vertrauenssache.